Jubeltaumel im Hallenser Fußballjammertal

Im Streit um das wahrscheinlich größte Fußballtalent Mitteldeutschlands, Dariusz Wosz, hatten die Bochumer die besseren Karten  ■ Aus Halle Steve Körner

Die beinahe schon obligatorische Keilerei nach Spielschluß fiel diesmal aus, obwohl mit den Fans von Sachsen-Leipzig kampferprobte Gegnerschaft genug vorhanden war. Aber ausnahmsweise hatten die HCF-Hools anderes zu tun: Gitter erklettern, Platz stürmen, Polonaise tanzen, Spieler feiern. 2:1 hatte die Elf ihres HFC Chemie die Leipziger Lokalrivalen gerade mühevoll zu Boden gerungen. Zwei Punkte aufs Haben-Konto im vorletzten Saisonspiel. Zwei Punkte, die gleichbedeutend sind mit dem vorzeitigen Aufstieg aus der 1.DDR-Liga in die zweite Bundesliga.

7.500 Hallenser immerhin waren bei strömendem Regen ins Kurt- Wabbel-Stadion gekommen, um ihrer Mannschaft auf den letzten paar Metern vor der Ziellinie beizustehen. Und den Ball, wenn nötig, ins gegnerische Tor zu brüllen. Aber sie waren auch gekommen, um den „Kleenen“ ein letztes Mal auf heimischem Platz auflaufen zu sehen. Dariusz Wosz nämlich, 23jähriges Eigengewächs des HFC, DDR-Nationalspieler der letzten Stunde und einziger hallescher „Star“, wird seine Mannschaft nun doch zum Saisonende verlassen. Obwohl er doch seinerzeit hoch und heilig versprochen hatte: „Wenn wir die ,Zweite‘ packen, bleibe ich!“ Damals allerdings konnte der 1,69 Meter große, trickreiche Flitzer natürlich noch nicht mit den Winkeladvokaten-Methoden interessierter Westvereine rechnen.

Das Management des VfL Bochum jedenfalls kann sich die Hände reiben: Der naive Wosz wurde sauber ausgespielt. Obwohl er einen bis 93 geltenden Vertrag mit dem HFC in der Tasche hatte, überredete man den wegen der unklaren Situation seines Vereins verunsicherten Jungstar im Frühjahr 90, einen zweiten Vertrag mit dem VfL zu unterschreiben, nach dem Wosz ab Juni91 im Ruhrpott zu kicken hat. Um die „Sicherheit für beide Seiten zu erhöhen“, unterzeichnete der fußballverrückte Wosz auf Bitten seiner neuen Bochumer Freunde auch noch ein zweites Papier, in dem er sich zur Zahlung einer irrwitzigen Konventionalstrafe für den Fall eines Vertragsbruches verpflichtete.

Im Streit um das wahrscheinlich größte Fußballtalent Mitteldeutschlands hatten die Bochumer mit diesem Papier die besseren Karten. Wosz, der selbst „keinesfalls“ mehr ins Ruhrgebiet wechseln will, wird nicht mehr gefragt. Er wird gehen müssen. Der zurückbleibende Rest der halleschen Mannschaft schaut in eine ungewisse Zukunft.

Im Moment jubelt das Jammertal von Bitterfeld bis Buna zwar noch über die Jungs, die die Bundesliga an die Saale holten, aber zumindest im HFC-Präsidium hat die Zeit der Sorgenfalten längst wieder begonnen.

Der DFB will demnächst eine 3,5-Millionen-Haushaltsrechnung für das kommende Spieljahr sehen. Und beim HFC weiß momentan allem Anschein nach noch niemand, wie man die zusammenzimmern soll. Denn Geld ist Mangelware beim Klub, dessen früherer Hauptsponsor aus verträumten DDR-Oberligazeiten, das Buna-Werk, heute viel zu sehr ums eigene Überleben zu kämpfen hat, als daß da noch Kohle für die Kicker abfiele.

Andere Geldquellen zu erschließen aber fällt im krisengeschüttelten mitteldeutschen Revier schwer. Ein Vertrag mit einer Schweizer Werbevermittlungsfirma ist bisher so ziemlich das einzige feste finanzielle Standbein. Das zweite, der Verkauf der HFC-Trikotbrüste an eine Modefirma, ist kurz nach Abschluß wieder weggebrochen. Es hatte sich herausgestellt, daß „Modeco“ nur eine Scheinfirma und das an den HFC überwiesene Geld postwendend aufs Firmenkonto zurückgebucht worden war. Letzten Endes mußte der Verein sogar den Druck der „Modeco“- Hemden aus der eigenen, knappbestückten Kasse bestreiten.

An großartige Verstärkungen für die wahrscheinlich über die Zukunft des Klubs entscheidende erste Bundesligasaison denkt deshalb niemand in Halle. Auf Norbert Nachtweih, den Ex-Hallenser in französischen Diensten, hoffte man eine Zeitlang bei den Fans ebenso wie im Vorstand.

Aber seitdem der Mitte der Siebziger aus Halle geflüchtete Verteidiger einen neuen Vertrag in Frankfurt unterschrieben und zudem erklärt hat, er denke nicht daran, in den Osten zurückzukehren, ist es damit auch Essig. Die Russen, Polen, Tschechen und Afrikaner dagegen, die man bekommen und bezahlen könnte, „bringen allesamt nicht die nötigen Leistungen“ (Manager Bernd Bransch). Und die sie bringen, kann man natürlich wieder nicht bezahlen.

Bleibt die Konzentration auf die eigene Nachwuchsarbeit, die ihre Bundesligatauglichkeit nicht nur im Falle Nachtweih nachgewiesen hat. Neben Nachtweih kam auch Eintracht-Torhüter Jürgen Pahl aus Halle, und auch Borussia Dortmunds Jungstar Steffen Karl trieb noch ein halbes Jahr vor der Wende neben Dariusz Wosz den Ball durchs Wabbel-Stadion, ehe ihn Parteifunktionäre und Klubverantwortliche ihrerseits wegen einiger „staatsfeindlicher“ Äußerungen zur Flucht über Ungarn trieben.

Nun fehlt demnächst auch noch Wosz, der Dauerläufer und Draufgänger, der Spiele dann und wann auch mal allein entscheiden konnte. Vom einstigen gepriesenen halleschen Zaubermittelfeld Wosz/Karl/ Tretschok bleibt nur noch der Letztgenannte übrig.

Die Späher des Klubs sind seit Monaten unterwegs, um bei den Oberligamannschaften, die durch den Bundesligarost fallen, vielleicht brauchbare Spieler abzufassen, mit denen die Löcher zu stopfen wären. Aber wer will schon spielen für Kleingeld und gute Worte?

Und während die schwadronierenden HFC-Spione mit den leeren Taschen in Cottbus, Frankfurt/Oder und beim FC Berlin leer ausgehen, geben sich hinter ihrem Rücken im heimischen Wabbel-Stadion schon die altbundesdeutschen, schweizerischen und französischen Talentdetektive die Klinke in die Hand.