»Ein Fremder bin ich dort wie hier«

■ Der Iraker Harby Al-Jazrawi ist seit 1981 Wirt der »Kleinen Ratsstuben« im Rathaus Schöneberg

Berlin. Jeder Mensch hat das Recht, auf dieser Welt einen Platz zu haben, an dem er leben kann. Dies, so der 47jährige Harby Al-Jazrawi, sei immer seine Devise gewesen.

Seit 1981 ist der gebürtige Iraker Wirt der »Kleinen Ratsstuben« direkt am Rathaus Schöneberg. In der winzigen Kneipe verkehren Mitglieder der CDU und der SPD, aber auch die Republikaner wollten hier schon mal den Versammlungsraum mietet.

Zunächst sei er reichlich skeptisch gewesen, erzählt Harby Al-Jazrawi. »Dann habe ich gesagt, gut, wenn ihr euch anständig benehmt... und da hat es dann auch wirklich keine Schwierigkeiten gegeben.« Seine Kneipe soll für alle offenstehen — »nur wenn das hier jemand für einen Animierschuppen hält oder ausländerfeindliche Sprüche klopft, dann ist mit mir nicht gut Pistazien essen!«

1943 im Norden des Irak geboren, wuchs Harby Al-Jazrawi in seiner Jugend in Bagdad auf und besuchte dort die Jesuitenschule. Als Christ erzogen, gehörte er zwar zu einer Minderheit, »Anfeindungen habe ich deshalb jedoch nie zu spüren bekommen«. Auch seine Eltern, so erzählt Harby, hätten zwischen Moslems, Schiiten oder Christen nie einen Unterschied gemacht. Mit Politik habe seine Familie ohnehin nie etwas zu tun gehabt, durch Immobilienhandel jedoch gehöre sie zu einer der reichsten in Bagdad. »Der Name Al-Jazrawi ist dort ein Begriff.«

Erst nach dem Sturz der Monarchie am 14. Juli 1958, berichtet Harby aus seinen Erinnerungen, hätten die Menschen im Irak gespürt, wie unterdrückt sie vorher gewesen waren. Die ersten Jahre nach der Revolution »verliefen für die Menschen sehr positiv, doch dann verbündete sich die Regierung mit den Nationalisten, und alles wurde wieder schlimmer.« Ganze Familien seien damals ausgewandert, und auch seine Familie riet ihm, das Land für einige Zeit zu verlassen. Also ging Harby im September 1962 nach Berlin, um hier die deutsche Sprache zu studieren. Finanziell unterstützt wurde er von seiner Familie in Bagdad. Doch sein Aufenthalt in Deutschland verlief nicht unproblematisch: Die irakische Regierung entzog ihm den Reisepaß. »Doch ich habe Glück gehabt und wurde nicht aus Deutschland ausgewiesen.«

Im Jahre 1966 erhielt er durch Vermittlung von Freunden die Möglichkeit, an der Freundschafts-Universität in Moskau Lebensmitteltechnologie zu studieren. »Damals konnte ich kein Wort Russisch, aber in Moskau habe ich das innerhalb von vier Monaten gelernt.« Mit seiner Kritik am sowjetischen System, so behauptet Harby, habe er sich nie zurückgehalten. »Ich habe damals zu einem Professor gesagt: Ich gebe hier doch nicht meine Persönlichkeit ab, nur um statt dessen ein Diplom zu bekommen!« Besonders befremdlich fand er, daß so viele seiner Kommilitonen als Spitzel gearbeitet hätten, was er selbst immer abgelehnt habe. »Deswegen versuchten mir alle immer Steine in den Weg zu legen. Ich habe mein Studium aber trotzdem schneller absolviert als die meisten anderen.«

1972 kehrte Harby dann nach Berlin zurück, um an der Technischen Universität zu promovieren. Hier lernte er auch seine spätere Frau kennen, eine Chemotechnikerin, die er 1975 heiratete. Doch die Ehe war ein Flop — »Sie hatte lediglich eine Kuh gefunden, die man melken kann« — und wurde 1982 wieder geschieden. In der Zwischenzeit, 1977, war Harby deutscher Staatsbürger geworden. »Das hat meine Frau aber nie gehindert, mich als Ausländer zu beschimpfen.« Die Ehe endete mit einer Reihe von Prozessen, »die ich jedoch alle verlor.«

Seine Frau, so nimmt er heute an, habe darunter gelitten, keine Kinder bekommen zu können. Um damit fertig zu werden, habe sie ständig mit ihm gestritten und versucht, ihn finanziell auszupressen. Deswegen habe er sich dann von ihr getrennt. »Als ich ging, hat sie gesagt, daß sie mich mit allen Mitteln fertig machen will.«

Auch Harbys berufliche Laufbahn verlief anders als erwartet. Seine Promotion beendete er nicht, statt dessen versuchte sich Harby im Im- und Export-Geschäft. 1977 kaufte er seine erste Kneipe im Wedding, 1981 übernahm er die »Kleinen Ratsstuben« am Rathaus Schöneberg. Geld habe für ihn jedoch nie eine Rolle gespielt, denn von seiner wohlhabenden Familie in Bagdad sei er regelmäßig unterstützt worden. Neben Moskau und Berlin hat er auch einige Monate in England verbracht, »doch dort hat es mir nicht so gut gefallen.«

Zum Golfkrieg möchte Harby aus Angst, seiner Familie damit zu schaden, nichts sagen. Ohnehin hat er erst vor drei Wochen ein erstes Lebenszeichen von seinen Angehörigen erhalten. Nur soviel läßt er sich abringen: »Ein ganzes Volk kann nicht schlecht sein«, und »Alle, auch die Kurden, haben das Recht, in Frieden zu leben.«

Sobald er kann, will er seine Familie in Bagdad besuchen. Doch länger als ein paar Wochen will er dort nicht bleiben. »Ein Fremder bin ich dort genauso wie hier.« Und in Berlin hat Harby zumindest viele Bekannte und Freunde — wieviele Menschen, die er kennt, überhaupt noch in Bagdad leben, weiß er nicht. Auch seine berufliche Zukunft ist unsicher: Seit der Wende, seitdem »die Politiker dauernd im Osten sind«, habe der Umsatz erheblich abgenommen. »Vielleicht wird es Zeit, mal wieder was anderes zu machen.« Martina Habersetzer