Kostet Herthas Unfähigkeit St. Pauli den Kopf?

■ Ohne echte Gegenwehr und ins Abstiegsschicksal ergeben, ordnet sich Hertha BSC dem 1. FC Nürnberg mit 2:4 unter

Charlottenburg (taz) — Else Tetzlaff hat neulich schon fast richtig gedacht: „Dann haben die nach 90 Minuten schon Feierabend?“ wunderte sie sich, von ihrem Schwiegersohn über die relativ kurze Arbeitszeit von Profifußballern aufgeklärt. Und wäre am Samstag im Olympiastadion gar nicht mehr aus dem Staunen herausgekommen. Denn im Heimspiel des Absteigers Hertha gegen die noch um den Klassenerhalt rackernden Nürnberger schien der Feierabend just mit dem Anpfiff zu beginnen. Jeder Freizeitkicker vor dem Reichstag hätte sich ohne aufzufallen in eine Mannschaft integrieren können, die in der ersten Stunde allzu deutlich zeigte, daß sie an engagiertem Spiel überhaupt nicht interessiert war. Was die Bemerkung notwendig erscheinen läßt, daß dies eine fast unentschuldbare Frechheit darstellt, wenn nicht sogar eine übliche Gemeinheit.

Schließlich geht es noch um etwas in der Bundesliga, für die Hertha zwar schon lange nicht mehr, desto mehr für die Nürnberger. Die mußten unbedingt gewinnen, um Abstieg und Relegation zu entgehen. Daß die Herthaner ihnen dies so leicht machten, mag ja ein netter Zug sein, das Unverzeihliche daran aber ist: Mit diesem Geschenk stürzten die Berliner den großen, ruhmreichen und einzigartigen FC. St. Pauli in schlimmste Abstiegsnöte. Damit, liebe Hertha, hast Du in den Herzen sämtlicher mitfühlender Fußballfans endgültig verschissen.

Alles andere, das in diesem Spieljahr zugemutet wurde, ist dagegen zu ertragen, zum Teil gar erheiternd. So schlechter Fußball ward tatsächlich lang nicht mehr geboten in der ersten Bundesliga. Ganz zu schweigen von einer Vereinsführung inklusive Management, bei denen jeder Vergleich die bekannten Maßstäbe nach unten sprengen würde. Seien es nun die lächerlichen Ausreden eines eindeutig vom Alter gezeichneten Präsidenten, um die ihm nicht genehmen Trainer zu feuern (Fuchs nach Treueschwur, Csernai nach 5:7 Punkten wg. Erfolglosigkeit, Neururer nach 2:38 Punkten wg. vereinsschädigenden Verhaltens, da capo!); das jede Woche anderslautende Geschwafel eines völlig ahnungslosen Vize, oder die geniale Einkaufspolitik, durch die die Hertha-Orgel im tiefsten Register um sechs Pfeifen nach unten erweitert wurde. Doch noch immer spuken die Flausen vom Wiederaufstieg in den Köpfen einiger Herthaner herum, obwohl hier niemand merkt, daß wohl nur noch Alfred Tetzlaff denkt: „Nichts ist wichtiger als eine Berliner Mannschaft in der Bundesliga.“ Und vielleicht die Nürnberger. Denn die wußten wohl vom Beginn des Spieles an, daß ihnen gar nichts passieren konnte. Schon nach fünf Minuten war das taktische Konzept von Übergangstrainer Karsten Heine beendet, möglichst lange ohne Gegentor zu bleiben.

Ersatz-Keeper Senja semmelte Wagner im Strafraum um, Oechler verwandelte den fälligen Elfmeter. Alles folgende war mehr leichtes Training für die Spieler des „Club“, die Hertha-Abwehr sah uninteressiert zu. So, als Oechler wenig später zunächst per mißglücktem Kullerball ins Tor traf und schließlich in der zweiten Hälfte ganz alleinstehend das vierte Tor köpfen durfte, wie vorher Wolf, der nach einer Ecke nur dumm herumzustehen brauchte, um ein Tor zu erzielen.

Ebensoviel Spaß mußte das Spiel Hans Dorfner gemacht haben. Vollkommen unbehelligt konnte er seine genialen Vorlagen geben. So gut, daß er nach einer Stunde schon zum Ausruhen den Platz verlassen durfte. Dies machte seine Kollegen wohl ein wenig neidisch, denn nun beendeten auch sie eigenmächtig das Spiel und schauten nur noch zu, wie die Herthaner nun gar nichts anderes konnten, als auch noch Tore zu schießen. Was aber nur der Verdienst von Marco Zernicke, Mike Lünsmann und Sven Kretschmer war. In ihrem jugendlichen Leichtsinn besaßen sie noch genug Puste und Lust am Fußballspiel, zwei Tore zu fabrizieren.

So an sich gesehen war es dann doch ein schöner Fußball-Nachmittag. Wenn, ja wenn nur nicht diese Minus-Leistung der Herthaner den St-Paulianern den Abstieg bringen könnte. Mit dem Herzen längst in Hamburg, Schmiernik