Standbild: Pastor als Einschaltquoten-Killer

■ "Berlin-Mitte", N 3, Freitag, 22 Uhr

Lasset die Rollkommandos zu mir kommen und in den Dialog eintreten, denn mein ist die Talkshow, spricht der ostdeutsche Pastor Karl- Heinz Ducke, der sich zum Einstand in seine neue Tätigkeit des Themas „Jugend in Deutschland. Ausweg Gewalt“ mit Fragezeichen angenommen hat. Und so wollen wir „miteinander nach Lösungsmöglichkeiten suchen“ in diesem zwei Stunden dauernden Wort zum Sonntag, das uns anstelle von Lea Roshs Talkshow nun vor die Nase gesetzt worden ist. Die Leute vom Fernsehen sind nämlich ganz ausgebuffte Strategen: Sie machen hintenrum den DFF kaputt und präsentieren uns vornerum das Trostloseste, was dieser Restfunk noch zu bieten hat, damit wir uns selbst davon überzeugen können, mit welchen Einschaltquoten-Killern das westdeutsche Fernsehen zu kämpfen hat. Wem wäre es bei uns je eingefallen, einem weltfremden Pastor die Leitung einer Talkshow zu übertragen? So boshaft kann nur sein, wer dem westdeutschen Publikum beweisen will: Die sind da drüben hinterm Mond.

Aber es lag nicht nur am mild-ahnungslosen Lächeln des Herrn Pastor, nicht nur an seinem verzweifelt versöhnlerischen Kanzelton, daß diese Runde zu einer Bankrotterklärung aller Talkshows wurde — und zur Bankrotterklärung der „Erwachsenen“-Generation gleich mit. Nur daß die schwafelnden Experten an ihrem „runden Tisch“ — im Rücken das Jugend-Studiopublikum — natürlich gar nichts merkten von ihrer Überflüssigkeit und Ignoranz. Am wenigsten Co-Moderatorin Claudia Schreiner, die sich für das Lächeln der Sensationsgier als Make-up entschieden hat und dauernd wissen will, mit welchen Waffen „genau“ sich die Jugenbanden überfallen. „Es kann jederzeit passieren, daß Gewalt auf uns einwirkt“, teilt sie mit und ist sichtlich enttäuscht, weil jeder Jugendliche auf ihre Frage „Wendest du Gewalt an?“ „nein“ sagt.

Zu „jungen Freunden“ werden die Jugendlichen beim gönnerhaften Otto Schily, der sich als Apo-Opa im übelsten Sinn entpuppt und „Dialogbereitschaft“ der Schläger anmahnt. Campino von den Toten Hosen darf mit am Tisch der Großen sitzen, weil ihm schon lang unter der gelben Punkfrisur das bravgekämmte Herz schlägt: „Mit Anstand“ will er die Diskussion am Tisch „über die Bühne bringen“ — so, wie er selbst den „Anstand“ hat, ein Rockkonzert bei ausufernden Schlägereien zu beenden. Trotzdem setzt er sich für die „Banden“ ein: „Die haben einen Ehrenkodex. Fünf gegen einen — sowas machen die nicht.“ Herr Pastor lächelt froh: „Das ist das Miteinander, das man hier auch spürt.“ Und CDU- Landowsky traut sich heraus mit seinem Vorschlag, die Komische Oper und das Theater auszubauen, damit die Jugend fortan eine schöne Freizeit hat und sich nicht mehr so prügeln muß. Ärgerlich, daß aus dem Publikum so aggressive Töne kommen, Beschwerden über Arbeitslosigkeit, über die Schließung von Freizeitheimen und über die Medien, die sich an jeder Schlägerei wochenlang weiden. Ja, ja, es gibt „viel Unkenntnis im Miteinander“, weil „mein Mitmensch mir oft wie mit einem Zaun begegnet“. So wollen wir denn den Zaun einreißen, uns „Guten Tag“ sagen und uns in „Toleranz und Konfliktfähigkeit“ üben. Sybille Simon-Zülch