Kanzlers Reisegepäck-betr.: "Neonazis eröffnen Schlacht um Kreta", taz vom 24.5.91

betr.: „Neonazis eröffnen Schlacht um Kreta“,

taz vom 24.5.91

Der Besuch des Kanzlers der Gedenkstätte Galatas auf Kreta war zweifelsohne die Nummer 1 der Nachrichtensendungen des vergangenen Wochenendes. Doch in den Berichten kein Wort über mitgereiste Alt- und Neonazis, deren Grabschändungen bei Heraklion oder Geiselerschießungen von Seiten der Deutschen Wehrmacht. Offenbar war alles doch ganz anders. Denn, wie immer hat sich der Historiker Kohl, wenn er als Spätgeborener zu Gedenkstätten eilt, vorher kundig gemacht; dieses Mal anhand der Schilderung eines prominenten Zeitzeugens. Der Kanzler fragt: Wer war's?

„[...] (Als ein amerikanischer Journalist ein paar Wochen später in Athen) wissen wollte, was ich von den Berichten über Ausschreitungen während der Kämpfe hielte, erwiderte ich, davon nichts zu wissen. Immerhin könne ich mir vorstellen, daß die impulsive und leidenschaftliche einheimische Bevölkerung angesichts der Zerstörung ihrer Dörfer, gegen einzelne Deutsche vorgegangen sei; den englischen Soldaten traute ich Grausamkeiten nicht zu.“ — Tja, der Kanzler hat eben nicht nur „seinen Hölderlin in der Tasche“, sondern auch Max Schmelings Erinnerungen im Reisegepäck. Peter Raulwing, Bonn