Jagdszenen im neuen Osten

■ Auf offener Straße wurde am Samstag in Dresden der Neonazi Rainer Sonntag erschossen. Ebenfalls am Samstag überfielen Skinheads ein Heim für Asylbewerber im sächsischen Pirna. Bundesjustiz- minister fordert...

Jagdszenen im neuen Osten Auf offener Straße wurde am Samstag in Dresden der Neonazi Rainer Sonntag erschossen. Ebenfalls am Samstag überfielen Skinheads ein Heim für Asylbewerber im sächsischen Pirna. Bundesjustiz- minister fordert jetzt ein härteres Vorgehen der Polizei.

Auf offener Straße ist in der Nacht zum Samstag Neonazi-Führer Rainer Sonntag (36) in Dresden mit einer abgesägten Schrotflinte erschossen worden. Polizeiberichten zufolge stand Sonntag mit etwa 60 Gesinnungsfreunden vor einem Kino, als aus einem schwarzen Mercedes-Sportcoupe ein junger Mann — „kräftige, sportliche Gestalt, goldene Halskette, mehrere Ringe“ — ausstieg und nach heftigem Wortwechsel auf den vor ihm stehenden Sonntag schoß.

Wie die Dresdner Kripo informierte, wird zur Zeit bundesweit nach zwei mutmaßlichen Tätern gefahndet. Es handelt sich offenbar um den 23jährigen Nikolas S. und den 24jährigen Ronny M., beide aus dem Altbundesgebiet; gegen sie wurde Haftbefehl erlassen. Das Tatfahrzeug wurde am Rande der Stadt gefunden. Ob die Täter aus der „Rotlichtszene“ oder aus dem rechtsradikalen Umfeld Sonntags kämen, sei noch unklar. Die Kriminalisten schließen einen „Racheakt rivalisierender Gruppierungen“ nicht aus.

Nachdem die jungen Rechtsradikalen die Leiche Sonntags mit einer Reichskriegsflagge zugedeckt hatten, heizten sie sich gegenseitig an: „Sieg Heil! Ausländer raus! Wir kriegen euch alle!“, brüllten sie. Polizisten wurden bespuckt und Passanten beschimpft. Als eine Serviererin aus dem nahen Bordell kam, wollten sich die Rechtsradikalen auf sie stürzen. Nur mit Hilfe der Polizei konnte die Frau flüchten. Vermutlich wollten die Neonazis das „Sex- Shopping-Center“ überfallen.

Am Samstag zogen dann Rechtsradikale mit Trauerflor durch die Stadt. Sie waren mit Baseballschlägern bewaffnet und konnten auf der Prager Straße ungehindert Ausländer beleidigen und angreifen. Einen ungarischen „Hütchenspieler“ ketteten die Skins an einen Zaun, bis die Polizei kam und den Ungarn „übernahm“; von den Skinheads wurden lediglich die Personalien festgestellt.

Rainer Sonntag, ein enger Vertrauter der Neonazi-Spitzen Michael Kühnen und Gottfried Küssel, kam 1990 nach Dresden und gründete die Gruppe „Nationaler Widerstand Deutschlands“. Der wegen Verstoß gegen das Waffengesetz und wegen Körperverletzung Vorbestrafte war auch Mitinitiator des „Verbandes der Sächsischen Werwölfe“, der „Schutzstaffel Ost“ sowie der „Wehrsportgruppe Peiper“. Zu seinen erklärten Zielen gehörte der „Kampf gegen Prostitution und Zuhälterei“. In der Öffentlichkeit sprach Sonntag immer wieder von „etwa 3.000 Kameraden“, die in Dresden an seiner Seite stehen würden. Offiziell spricht man in Dresden von etwa 500 Rechtsradikalen. Wie aus diesen Kreisen verlautet, habe es in jüngster Zeit Gerangel um die Führung in der äußersten Rechten gegeben; neben Sonntag soll der aus dem Dresdner Wohnsilo Johannstadt stammende militante Dirk Vogel zusehends an Einfluß gewonnen haben.

Im Regierungsbezirk Dresden laufen zur Zeit wegen ausländerfeindlich motivierter Straftaten 35 Verfahren gegen 95 bekannte Personen und zehn Verfahren gegen Unbekannt. Wie der leitende Staatsanwalt für Extremismusbekämpfung, Jürgen Schär, erklärte, werde vorwiegend wegen Landfriedensbruch, Volksverhetzung und Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt.

Keine Reaktion seitens der Landesregierung

Ebenfalls in der Nacht zum Samstag überfielen Rechtsradikale im sächsischen Pirna ein Heim für Asylbewerber. Sie zerschlugen Fensterscheiben und grölten faschistische Parolen. Die rumänischen AsylbewerberInnen konnten sich in Sicherheit bringen. Als die drei Funkwagen der Polizei eintrafen, flüchteten die 30 etwa 14jährigen Skinheads. Der Polizei blieben nur noch vereinzelte Zeugenaussagen.

Die Landesregierung sieht sich trotz des anhaltenden Terrors rechtsradikaler Gruppierungen bisher zu keiner politischen Erklärung veranlaßt. Auf eine Anfrage der Fraktion Linke Liste/PDS im Landtag nach dem Anwachsen der rechtsradikalen Gewaltszene in Sachsen meinte Staatsskretär Albrecht Buttolo (CDU) lediglich, auf die „damals verschwiegenen“ Anfänge in der DDR verweisen zu müssen. Heute müsse er ein „auffallendes Mißverhältnis“ zwischen der tatsächlichen Gefahr und dem öffentlichen Interesse feststellen. Die Medien, befand der Staatssekretär, würden den Rechtsextremismus „aufbauschen“.

So schweigt das Innenministerium bis heute zum Überfall auf die Kinder aus Tschernobyl am 9.Mai in Zittau. Dort hatten betrunkene Rechtsradikale, rassistische Parolen grölend, die Ferienunterkunft mit Steinen und Fackeln gestürmt (die taz berichtete). Der Sprecher der Landespolizeibehörde Schlinzing teilte mit, daß man gegen Angehörige der Zittauer Kriminalpolizei inzwischen „disziplinarische Schritte“ eingeleitet habe. „Unvertretbar zögerlich“ habe die Polizei gehandelt, als sie weder Betroffene noch Zeugen sofort anhörte und die Täter wieder laufen ließ. Johann Gotha, Dresden