Der Einzug der Psychosekten

■ Über den Umgang mit Jugendreligionen und Psychosekten informierte ein Wochenende lang die Eltern- und Betroffeneninitiative in Potsdam

Potsdam. Michael H. hat sich verändert. Er ist gereizter und neigt viel mehr zu Aggressivität. Seiner Umwelt ist er fremd geworden. Sein Blick ist durchdringender geworden, man kann ihm kaum standhalten. Obwohl der junge Mann aus Leipzig gerade einen Kommunikationskurs besucht hat, ist eine Unterhaltung mit ihm kaum mehr möglich. In sich zurückgezogen versucht er Antworten auf all seine Fragen zu finden. Da er allein seine Probleme nicht lösen konnte, ging er nach München ins Scientology-Zentrum, um an einem weiteren, einem Erkenntniskurs teilzunehmen. Seine Frau hat ihn seitdem nicht mehr gesehen.

Michael H. ist kein Einzelfall. Immer häufiger werben Jugendreligionen und Psychosekten aus Berlin auch Menschen aus dem Berliner Umland an und haben Erfolg. Scientology (»Sie nutzen nur zehn Prozent Ihres geistigen Potentials!«), Transzendentale Meditation, die reaktionäre Mun- und die Osho-Bewegung (ehemals Bhagwan) sind ständig in Potsdams Fußgängerzone präsent. In den neuen Ländern herrscht großer Informationsmangel über die Gefährlichkeit dieser Sekten. Angehörige und Bekannte von Betroffenen stehen dem hilflos gegenüber.

Am Wochenende veranstaltete die Eltern- und Betroffenen-Initiative Berlin (EBI) in Potsdam zusammen mit dem Jugendamt, dem Stadtjugendring und der evangelischen Kreisjugendarbeit ein Intensivseminar über Jugendreligionen, Psychosekten und Okkultismus. Angesprochen wurden vor allem Lehrer, Pädagogen, Sozialarbeiter und Politiker aus allen Teilen der neuen Länder.

»Vor allem muß«, meint der Vorsitzende der EBI, Pfarrer Thomas Gandow, »die mangelnde Information beseitigt werden.« Wer verbirgt sich hinter welchen Namen? Wie sind die einzelnen Gruppen organisiert? Welche Schwächen nutzen sie aus? Einen Schwerpunkt legte die 1980 gegründete EBI auch auf die Frage, wie und woran man Anwerber von sogenannten Jugendsekten erkennen kann. In verschiedenen Broschüren — zum Beispiel die »Checkliste für Einsteiger«, »Bist Du anfällig?«, »Ratschläge gegen die Gleichgültigkeit« — gibt die Elterninitiative Tips für den Umgang mit Anwerbern von Jugendreligionen.

Mehr als Informationen und Verhaltenstips vermögen Betroffeneninitiativen und Behörden auch nicht zu leisten. Rechtlich können Jugendreligionen nicht belangt werden. Sie sind durch das grundgesetzlich verankerte Recht auf Glaubensfreiheit geschützt. »Vereinsverbote sind nicht durchsetzbar«, meint der Bonner Regierungsdirektor Reinke, »und auch nicht wünschenswert [im Sinne der allgemeinen Glaubensfreiheit, Anm. d. Red.], höchstens aus Sicht der Betroffenen.«

Michael H.s Frau empfindet das als Gleichgültigkeit der Behörden. Ihr Mann läßt sich inzwischen bei Scientology zum Auditor (Ausbilder) schulen. Dafür hat er hunderttausend Mark als Einstiegsgeld gezahlt — Geld, das ihm nicht gehörte. Alle Versuche, ihn aus der Psychosekte wieder herauszubekommen, sind aussichtslos. Thekla Dannenberg

Information: EBI, Mommsenstraße 19, 1000 Berlin 12, Tel: 324 95 75