»Dich können sie nicht abwickeln!«

■ Eine der letzten Bastionen der alten DDR: Das Brecht-Weigel-Haus in Buckow, Märkische Schweiz/ Dort hört man Brechts Stimme von Platte und darf den Karren der »Courage« bewundern

Ich sitze am Straßenrand

Der Fahrer wechselt das Rad

Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.

Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.

Warum sehe ich den Radwechsel

Mit Ungeduld?

(B.B., Buckower Elegien, 1953)

Buckow. Was wir sehen wollen auf diesem Ausflug? Das Haus als museale Grabstätte vergangener Klischees.

Doch erst kommt das Fressen und dann die Moral. Ersteres in Form postsozialistischen Jägerschnitzels in den »Seeterrassen«, wo die Kellnerin noch mit der Tatsache hadert, daß die Gäste sich hinsetzen, ohne angewiesen zu werden. Die Stühle drücken im Kreuz, das Klo ist unbeheizt an diesem spätherbstlichen Maitag, und schwere orangefarbene Frotteegardinen behindern den Blick auf den grüngesäumten Schermützelsee. Bevor wir ein Heiligtum der Brecht-Pilger — sein Landhaus in Buckow in der Märkischen Schweiz — aufsuchen, überzeugen wir uns von der Wirklichkeit noch existierender realsozialistischer Klischees und verdrängen die neu angebrachte aufdringliche Puddingreklame auf dem Parkplatz. Hoffentlich hat man wenigstens das Altersrefugium des großen B.B. noch nicht »gewendet«.

Damals, drei Jahre nach Gründung des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates und drei Jahre nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil, treibt es B. aus Berlin: »mit helli in buckow landhäuser angesehen. finden auf schönem grundstück am wasser unter alten bäumen ein altes, nicht unedel gebautes häuschen mit einem andern, geräumigeren, aber ebenfalls einfachen haus daneben, etwa 50 schritte entfernt. in das größere haus könnte man leute einladen«, schreibt er im Februar 1952 in sein Arbeitsjournal. B. ist müde, sein Berliner Ensemble erfolgreich, seine Ehe mit der Weigel am Ende. Er will Ruhe, zum Schreiben und »daß ich wieder etwas HORAZ lesen kann« und die geliebten amerikanischen Krimis.

Das Jägerschnitzel fordert einen Spaziergang. Wir parken das Auto am Ortseingang und wählen den Fußweg, ein windschiefes Holzschild »zum Brecht-Weigel-Haus 500 Meter« weist die Richtung. Langsam schlendern wir an Weiden und Schilf vorbei um den halben Schermützelsee herum. Den Blick übers Wasser gerichtet, zeigt sich Buckow am anderen Ufer als konserviertes Gründerzeit-Örtchen. Hinter der nächsten Kurve sieht man den anderen, kleineren Buckower See und das spitz zulaufende Dach der »Eisernen Villa«. Ein Bürgerhaus wie aus einem Tschechowstück: luftige Ornamentik auf den weißen Steinwänden, geharkter Kies vor der Treppe, gußeiserne Gitter vor den kleinen Fenstern. Wir haben Glück, die Besuchszeit für »angemeldete Kollektive« ist verstrichen, das Eisentor ist offen für alle. Wir sind die einzigen an diesem Wochentag.

»es gibt gras und tannen, wilde rosenstöcke an den mauern. ich habe einen dünnen wirtsgartentisch und die bank dazu aufgetrieben, mit eisernen beinen und den resten eines weißen anstrichs. sehr elegant...« B. richtete sein Arbeitszimmer im Gartenhaus ein, mit Ausblick durch ein riesiges Fenster auf den See. An die Tür heftete er einen Zettel: »In Erwägung, daß bei dem Schreiben von Stücken und dem Lesen von Kriminalromanen jede menschliche Stimme eine willkommene Ausrede für eine Unterbrechung bildet, habe ich beschlossen, mir eine Sphäre der Isolierung zu schaffen.« Buckow schien ihm »friedlich und langweilig genug für die Arbeit« an seinen Buckower Elegien oder an »Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher«.

Das Gartenhaus gehört heute seinen Nachkommen und ist nur über den Gartenzaun zu erspähen. Von dem wildromantischen Garten und der weitläufigen Ufer-Idylle, wie sie die Bilder von damals zeigten, ist nichts geblieben. Statt dessen ein staatlich vorgegebener Gedenkstätten-Rundlauf — in, zugegeben, reizvollem Ambiente — auf angelegten Wegen neben preußisch gestutztem Rasen. Die Tafel am Tor erklärt alles: Sie sehen 1. Die Eiserne Villa, 2. Den Garten, 3. Das Haus mit den Theaterrequisiten. Nebenan, in einem Plaste- Container, der einer Transit-Raststätte zur Ehre gereichen würde, die Toiletten.

Die stark geschminkte Museumswächterin drückt uns die Gebrauchsanleitung in die Hand und versichert: »Wir haben hier nichts verändert im letzten Jahr, wieso auch.« Die Huldigung des Staatsratsvorsitzenden hängt noch über der Kasse. Dann läßt sie uns allein, »den Laufzettel haben Sie ja jetzt. Zu sehen ist nur das Erdgeschoß. Gleich links ist die Bibliothek und dann das Große Zimmer. Dort finden Sie Brecht.«

Der Holzfußboden ist von jährlich 62.000 Füßen abgelaufen. Die hellgrauen Wände — von der ehemaligen Bibliothek zeugt nur ein Regal mit VEB-Bildbänden zum Herumblättern — dokumentieren die Ehrfurcht vor dem »Großen B.«: Ehrerbietungen ehemaliger Gäste, Auszüge aus Briefen B.s an Weigel, Fotos »Weigel beim Pilzsuchen« und als »Mutter Courage« und — in Goldrahmen — eine faksimilierte Sondergenehmigung vom 3. September 1952, die B. gestattete, den Kontrollpunkt Hoppegarten mitsamt seiner Reiseschreibmaschine Marke Royal A Nummer 10998115 zu passieren. Unter Glas eine DDR-Brecht-Ausgabe, mit der aufgeschlagenen Seite: Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller — wie ernst die Regierung der DDR die Lage beurteilt und eine harsche Kritik an den »Kriegstreiber aus der BRD«, datiert vom September 1951. Dem Staub nach zu urteilen, wurde die Seite lange nicht mehr umgeschlagen.

Die erste Hälfte des Jahres 1953 war für B. und das Ensemble enttäuschend: »in der presse erscheinen kritiken monate nach der erstaufführung, und es steht nichts drin, außer ein paar kümmerlichen soziologischen analysen. das publikum ist das kleinbürgerpublikum der volksbühne, arbeiter machen da kaum 7 prozent aus.« B. hält sich immer öfter in Buckow auf. Am Abend des 16. Juni 1953 kehrt er jedoch von Buckow nach Berlin zurück. Im 'Neuen Deutschland‘ schreibt er zwei Tage später: »Ich habe am Morgen des 17. Juni, als es klar wurde, daß die Demonstration der Arbeiter zu kriegerischen Zwecken mißbraucht wurde, meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ausgedrückt.« Wieder drei Tage später ist er wieder in Buckow und schreibt den Sommer über an seinem »Turandot«. In einer seiner Elegien, die zu dieser Zeit entstehen, findet er »Die Lösung«: »Nach dem Aufstand des 17. Juni/ Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands/ In der Stalinallee Flugblätter verteilen/ Auf denen zu lesen war, daß das Volk/ Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe/ Und es nur durch verdoppelte Arbeit/ Zurückerobern könne. Wäre es da/ Nicht doch einfacher, die Regierung/ Löste das Volk auf und/ Wählte ein anderes?«

Die andere Losung wird häufig zitiert im vollgekritzelten Gästebuch: »Dank an Brecht. Dich tragen wir im Herzen. Sie können Dich nicht abwickeln. Hubert und Elli, 24.3. 1991«. Hier im großen Zimmer mit dem großen Fenster (vergittert) finden sie den »Großen B.«. Aber es ist nicht nur der Personenkult, der aus dem Poesiealbum des abgewickelten Staates spricht. Wir sind froh, allein zu sein, heben die Nadel auf die Schallplatte und lauschen der Stimme des Herrn. Das Gästebuch in der Hand, würden wir uns gern auf Weigels Lehnstuhl niederlassen und die Spinnweben an der Decke auf uns wirken lassen.

»Bummeln Sie jetzt durch den idyllischen Garten« zur Gedenkstätte der Weigel, sagt der Leitfaden für »einen besinnlichen Aufenthalt«. Von der Terrasse mit den Plastikbänken spazieren wir ans Ufer des Bilderbuch-Sees. Im eigens für die Reliquien gebauten Holzhaus dann — gut beleuchtet — der Karren der Mutter Courage, den sie an die 500mal über die Bühne zog. An den Wänden: Probenfotos, Weigel und Brecht und Brecht und Weigel.

Und wieder B.: Die Genossen haben sogar seine kleinen, lakonischen Poeme in Bronze gegossen. Dutzende Täfelchen säumen den Weg zurück zum Haus. Drauf liest man, was man sieht an diesem »Heißen Tag. Auf den Knien die Schreibmappe/ Sitze ich im Pavillon. Ein grüner Kahn/ Kommt durch die Weide in Sicht. Im Heck/ Eine dicke Nonne, dick gekleidet. Vor ihr/ Ein ältlicher Mann im Schwimmanzug, wahrscheinlich ein Priester./ An der Ruderbank, aus vollen Kräften rudernd/ Ein Kind. Wie in alten Zeiten! denke ich/ Wie in alten Zeiten!«

»Gott sei Dank«, sagt die Museumswärterin, als wir den Schlüssel abgeben, »wir sind eine förderungswürdige Einrichtung des Kreises Strausberg geworden.« Nana Brink

Brecht-Weigel-Haus, Bertolt- Brecht-Straße 29, 1276 Buckow, Telefon: 467, Öffnungszeiten vom 1.Mai bis zum 30. September: Dienstag und Donnerstag 9.30 bis 12.00 und 13.00 bis 17.00, Wochenende 9.30 bis 12.00 und 13.00 bis 16.00 Uhr. Besonders günstig zu erstehen: DDR-Brecht-Ausgaben.