Nicht länger von gestern

■ »Außerhalb von mittendrin« — Multimediale Dialoge von Künstlerinnen aus der ehemaligen DDR

Die Zeit sei vorbei, als sie sich »nachts noch ein verträumtes Bild aus dem Bauch malte«, sagt Cornelia Schleime, Ex-DDR-Künstlerin, 1984 schon abgenabelt vom diktatorischen Einheizstaat und gerade zurück aus New York. Doch wie weit sind sie wirklich »außerhalb von mittendrin«, die Künstlerinnen, denen die Ästhetik der angehaltenen Zeit noch im Nacken sitzt, sieben Künstlerinnen aus der ehemaligen DDR, gemeinsam mit Künstlerinnen aus Westdeutschland und Österreich in den Räumen des Neuen Kunstquartiers im TIB präsentiert? Ein Bericht von Christoph Tannert

Während in den Bereichen Film, Theater, Musik, Literatur, Performance und Video die DDR-Frauen unter sich bleiben, gelang es der Kuratorin Beatrice Stammer mit ihrem geöffneten Ausstellungskonzept, die bildende Kunst in einem Ost und West vergleichenden Kontext vorzuführen und so der Gefahr erneuter Gettoisierung der DDR-Künstlerinnen zu entgehen.

Nach wie vor wird hauptsächlich gemalt zwischen Rostock und Dresden, scheint auch unter veränderten äußeren Bedingungen kein Ende des aufgewühlten Malerischen bzw. des Bildes als vorrangigen Ereignisses der Malerei absehbar. Insofern hätte der Kontrast zwischen einer kürzlich im Leipziger Opernhaus organisierten Ausstellung von 13 Leipziger Künstlerinnen (»Pronomen 13«) und der gegenwärtigen Berliner nicht größer sein können. Leipziger Positionen, egal ob männlich oder weiblich artikuliert, hüten das schwülstige Pathos des farbbestrichenen Leinentuchs in der Skala von blutig-wütig bis verschämt-expressiv. Stellvertretend für die anderen ostdeutschen Provinzen zeigen sie einen Hunger nach dem tastbar Sinnlichen an, der so typisch ist für die volkseigene Erfahrung in der vermangelten Gesellschaft, daß wohl noch lange mit ihm zu rechnen ist. Jedenfalls so lange die Bauchperspektive sich aus dem Gefühl der Entbehrung, der Ohnmacht und Apathie speist und Ausbrüche aus der Fügsamkeit mit dem schlagenden Pinsel geführt werden.

Daß die heutige Gesellschaft weitgehend eine telematische (Telefon, TV, PC, Fax) geworden ist, wird in der Ex-DDR noch gar nicht erfahren, weder die Verkürzung der Zeittakte noch die Digitalisierung der Wirklichkeit, das Ästhetisch-Werden der Wissenschaft schon gar nicht. Insofern mangelt es auch an Werken der Kunst, die ihre Sinneskanäle deutlich geistig bestimmen. Die an der Berliner Ausstellung beteiligten Ex-DDR- Künstlerinnen sind also wirklich »außerhalb von mittendrin«, denn ihre ganz auf den Raum und installativ orientierten Konzepte haben nichts mehr zu tun mit dem malerischen Wust, in dem ihre Geschlechtsgenossinnen noch stecken. Die Fotografin Gundula Schulze war mit ihrer sezierenden Bildsprache eh meilenweit weg vom abgedampften Gefühlsüberschuß ihrer Kolleginnen.

Böse Zungen behaupten, Beatrice Stammer habe »potente Malerinnen« verleitet, ihre Raum- und Zeiterfahrungen als Sensorama zu inszenieren, doch bereits die Erinnerung an die von ihr und Christine Zieseke (NGBK) initiierte DDR-Ausstellung »Zwischenspiele« (Elefanten Press Galerie und Kunstamt Kreuzberg/Bethanien) vom Herbst 1989 erbringt den Beweis, daß avancierte Programme wie die von Else Gabriel und Angela Hampel einen langen Vorlauf haben. Daß »außerhalb von mittendrin« von Künstlerinnen aus der Subkultur der Ex-DDR und denen, die den emanzipatorischen Basisbewegungen nahestehen, so hart kritisiert wird, offenbart im Kern einen Streit, der in der DDR-Kunst nie geführt wurde und nun als Nachholstunde geübt werden muß: die Diskussion um sinnliche Erkenntnis und anschauliches Denken, die Nähe und Ferne zwischen Picasso und Duchamp, die Auseinandersetzung um das Gesamtkunstwerk wie um die Vermischung bildsprachlicher Werke mit wortsprachlichen Aussagen, letztendlich auch all das, was FLUXUS hinterlassen und bewirkt hat und die im Philosophischen wandernden Konzeptuellen. Es ist deshalb ein Verdienst der Ausstellung, daß sie jene Künstlerinnen präsentiert, die sich (egal ob Ost oder West) auf ähnlichem ästhetischem Level befinden. So wird Ost-Kunst nicht länger denunziert, sondern von der Seite ihrer transformierten gestalterischen Organisation gezeigt.

Die Selbstbefragungen und -darstellungen codieren dabei auf ganz unterschiedlichen Ebenen die soziale und leibliche Wirklichkeit. Bei Ramona Köppel-Welsh ist es eine wehmütige, gleichwohl kritische Verarbeitung ost»zonaler« Empfindungen und die Artikulation eines Abwehrverhaltens, das sich gegen jedwede Form des Prinzips Dominanz richtet, auch gegen eine ästhetische Mediale, die High-Tech-Reservoirs gegen Schmutzbezirke ausspielt. Mit ihrer Teermaschine-penetriert-Clean- room-Installation hätte sie durchaus neben Rainer Görß' »Metropolis«- Beitrag bestehen können, wenn ihr dafür die Chance gegeben worden wäre. Nun gibt es aber die Möglichkeit der ergänzenden Zusammenschau, will man »außerhalb von mittendrin« nicht als ein Gegenprojekt zur Jahrzehnt-Schau im Gropius-Bau deklassieren. Man/frau sollte sich nur auf den Weg machen und sich des Komplexblicks befleißigen. Arbeiten von Rosemarie Trockel finden sich überdies in beiden Ausstellungen, wobei ihre Haßkappen-Box in der TIB-Etage universeller wirkt, Hochleistungskillerimage und einen erhöhten, weil gestrickten, »Freizeitwert« demaskiert bzw. zu einer ästhetischen Reizfiguration umwertet. Ihre Kochplattenarrangements liegen zu weit in der Position des Designs und verklären Emanzipationsbemühungen eher, als daß sie solche artikulieren.

Der Gefahr der heutzutage grassierenden routinierten Unverbindlichkeit ist die Ausstellung insgesamt nicht erlegen, im Gegenteil. Mit einer großzügigen Inszenierung und entschiedenem Schwarzweißdenken haben die Organisatorinnen das übliche Rotieren der ideellen Vektoren außer Kraft gesetzt und führen verläßliche Positionen der (weiblichen) Widerständigkeit vor. Selbst die Prismenwender der (e.)TWINgabriel sind Objekte des Schwelgens in der Verläßlichkeit. Drei kleine Rotoren sind Hinweise auf Kontinuität und Wiederkehr und lassen die Installation als ästhetisches Konservierungsmittel erscheinen, als elektromechanischen »Pachtvertrag mit der Zeit«, wie die Gabriel vielleicht sagen würde. Für sie, die das erkennbar Weibliche ihres Vornamens in ein neutrales TWIN umgeschrieben hat, ist Kunst »eine Ohrfeige vor dem Spiegel«. Diese radikale Strategie des permanenten Sich-wach-Machens teilt sie mit der Österreicherin Valie Export, deren »Wind Shields« und »Duale Duelle« erneut den Punkt streifen, an dem anerkannte Hierarchien sozialer wie gestalterischer Geltung in Frage gestellt werden. Dieses ganz selbstverständliche Empfinden der Künstlerinnen und Organisatorinnen für weibliche Identität, gespiegelt in herausfordernder ästhetischer Umsetzung, macht die Ausstellung zu einem ähnlich unzeitgemäßen Aufmerksamkeitszeichen wie das Angriffskonzept von »Perlen vor die Säue«, übrigens auch ein NGBK-Projekt.

Die Ausstellungspraxis in der Ex- DDR, auch in der weiblichen nicht- staatstragenden Kultur, entsprach eher dem Gewöhnlichen, in dem weibliche Präsenz sich die drögen künstlerischen Maßstäbe zu eigen machte, denen auch der Traditionalismus der Mittel-Männer folgte. Nun haben es einige ostdeutsche Künstlerinnen ganz offensichtlich in kürzester Zeit geschafft, beteiligt zu sein an der aktuellen Kunstdiskussion. Zwischen archaisch einfacher Realitätserfassung und der Interferenz zwischen Bild und Schrift liegen die Ansätze von (e.)TWINgabriel, Angela Hampel, Sabine Herrmann, Ramona Köppel-Welsh, Cornelia Schleime, Gundula Schulze und Erika Stürmer-Alex, wobei das künstlerische Instrumentarium breit gefächert ist. Von ihren westdeutschen Kolleginnen trennt sie nichts außer den Vorurteilen, die aus dem herbeigeredeten angeblichen Ost- West-Gefälle abgeleitet werden.

Katharina Karrenberg, die bereits bei dem von der Galerie Wewerka & Weiss konzipierten Projekt »Heimat« eine im wahrsten Sinne des Wortes bohrende Frage nach den heutigen Möglichkeiten des Behaustseins stellte (»Völker ohne Räume«, Galerie Vier, 1991), provoziert mit dem Fahnendruck Lolita, Beatrice, Mignon erneut und zeigt ihre ästhetische Zuständigkeit an für die Trutzinsel Aufklärung wie für Momente der punktuellen Selbstreflexion des Mediums.

Die in Gips gegossenen Uniformen, von Erika Stürmer-Alex in den Raum gehängt, retten dagegen die greifbare Anwesenheit des Fundstücks so deutlich ins Reale, daß sie eher wie ein Kieferscher Hirnhammer und weniger als Symbol für etwas Traumatisches wirken. Daß sich politische Aktualität in Kunst so unverblümt stark macht, ist der drängerischen Beobachtung und Anteilnahme der Künstlerin geschuldet, Gegenwärtiges und DDR-Geschichte nicht länger weiß auszuflecken, sondern emblematisch erfahrbar zu machen, durch Erinnerungsarbeit.

Über die Grenzen der medialen Konvention hinweg unternehmen diesen Versuch auch Schauspielerinnen, Performerinnen, Dichterinnen, Komponistinnen und Interpretinnen mit einem multimedialen Programm, das noch bis zum 23. Juni fortgeführt wird.

Die »plastischen Planungen« von (e.)TWINgabriel wie auch die »Orestobsession« von Kwiatkowski/ Kleinert/Altmann oder Lesungen von Barbara Köhler, Gudula Ziemer, Gabriele Kachold, Jayne Ann Igel und Elke Erb gehören zu einem klandestinen Entstehungszusammenhang, der erstmalig und wohl in dieser Dichte auch zum letztenmal so vorgeführt werden kann. Das TIB und sein Veranstaltungszelt ist in diesen Tagen längst mehr als ein intimer Ort der Selbstvergewisserung, was man nach dem Durchblättern des dreibändigen, ausgezeichnet recherchierten Katalogs annehmen könnte. Wer fähig ist, zu hören und zu sehen, der muß erkennen, daß der konfektionierten gesamtdeutschen Kultur mit diesen Künstlerinnen keine bloße Ergänzung zuwuchs, sondern daß die Vorbotinnen des Wandels bereits gezielt ihre Tiefenbohrungen setzen.

Außerhalb von mittendrin, bis 23. Juni im Neuen Kunstquartier im TIB, Veranstaltungszelt, Gustav- Meyer-Allee 25, Filme im Arsenal.