Siegerkultur

■ Alexander Lang inszeniert Goethes „Iphigenie auf Tauris“

Der Abschied ist schroff, das Ende. Iphigenie muß die hingereichte Hand grußlos zurücknehmen. Thoas gibt ihr bloß ein erstarrtes „Lebt wohl“ mit auf den Weg zurück in die Heimat, wohin sie ihr Bruder Orest und sein Freund Pylades bringen werden. Als das letzte Wort Goethes gesprochen ist, die Bühnenlandschaft im Dunkel liegt, kommt Pylades mit einem Walkie Talkie zurück, das er Thoas' Vertrauten Arkas in die Hand drückt. Während der fasziniert auf das Gerät starrt, nutzt Pylades die Gelegenheit, aus dem Tempel das Standbild der Göttin Diane zu rauben. Der Siegerkultur sei dieser Kitsch — eine griechische Statue — gegönnt.

Arkas und Thoas sind Skythen, sozusagen Wilde in den Augen der Griechen Orest, Pylades und Iphigenie. Thoas brach mit der Tradition seines Volkes, jeden Fremden zu töten, als er Iphigenie auf Tauris aufnahm. Er ist zutiefst verletzt, als sie sein Ansinnen, ihn zu heiraten, ablehnt. Ein edler Wilder, der sich zu Menschlichkeit und Souveränität durchringt, indem er am Ende Iphigenie und ihre Freunde ziehen läßt.

Die Schlußpointe, die Alexander Lang an Goethes Schauspiel dranhängt, macht den aktuellen Bezug auf das wiedervereinigte Deutschland deutlich. Während die dummen Ostdeutschen auf blinkende Billigtechnik und Autos reinfallen, klauen ihnen die cleveren westdeutschen Geschäftemacher die Ressourcen des Landes unter dem Hintern weg. Langs Wink mit dem Zaunpfahl ist derb und komisch, dafür spart er das poetische Stück, das sich ohnehin gut auf der Folie der Geschichte des schuldbeladenen deutschen Volkes lesen läßt, von aktuellen Anspielungen und Gags aus.

Die Bühne ist ein unten blau und oben gelb eingefaßtes Rund — für uns die Urlaubsfarben Griechenlands. In der Mitte der Bühne erhebt sich ein rundes orangefarbenes styroporenes Felsmassiv, das den Tempel darstellt, in dem Iphigenie ihren Dienst in der Verbannung versieht. Davor liegen ausgedörrt und sonnengebleicht einige Skeletteile und dürres Gehölz im Sand. Hinweis auf einen großen Krieg, der stattgefunden hat. Iphigenie (mit Gunda Aurich ausgesprochen mädchenhaft besetzt) ist ein kindliches Gemüt, einst von der Göttin Wolke gerettet, das sich vielleicht auf diese Weise etwas Naives bewahrt hat. Die Hände in die Hüften gestemmt berichtet Iphigenie Thoas triumphierend, aus welcher Ahnenreihe sie stammt. Sie trägt ein weißes Flattergewand, das ihr — noch ganz das Mädchen und noch nicht die Frau — nur bis zu den Waden reicht. Denkt sie laut und mit sich selber nach, dann wickelt sie sich in einen großen Umhang, in dem sie beinahe ganz verschwindet und der nur noch ihr blasses Gesichtchen herausschauen läßt. Ihre Stimme ist zart und hoch, Goethes Drama in Jamben durchkomponiert, was die Schauspieler vor hohe Anforderungen stellt, und weshalb Langs Inszenierung doch eine Teilstrecke nur auf halben Touren läuft. Auf — wie zumindest in seinen letzten Inszenierungen — stark parodistische Effekte in dem eher verhaltenen Arrangement hat er verzichtet, nur Pylades muß als Schwuchtel herumstolzieren. Iphigenie entscheidet sich zum Verrat an ihrem Bruder, indem sie Thoas die gemeinsamen Fluchtpläne bekanntgibt. Sie hat bei ihm Aufnahme und Gastfreundschaft erfahren, darum appelliert sie an den König, sie aus freiem Willen ziehen zu lassen. Mit diesem Verrat schützt sich Iphigenie vor einem größeren Verrat, der Preisgabe einer Freundschaft, ihrer eigenen Maßstäbe und Entscheidungsfreiheit. Die Vernunft alledings siegt nur in dieser Geschichte. Sabine Seifert

Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris. Regie: Alexander Lang. Bühne: Caroline Neven Du Mont. Mit Gunda Aurich, Gerd Ifland, Sebastian Koch, Matthias Redlhammer, Horst Stenzel. Schillertheater Berlin. Nächste Aufführungen: 5.,9. und 15.6.