Eher Ballast als Gewinn

■ Der Notanker Kronzeugengesetz ist nach dem Albrecht-Urteil erneut diskreditiert

Eher Ballast als Gewinn Der Notanker Kronzeugengesetz ist nach dem Albrecht-Urteil erneut diskreditiert

Das Urteil gegen Susanne Albrecht mag zu hart erscheinen. Unsinnig ist es angesichts des Resozialisierungsgebots in jedem Fall. Susanne Albrecht und mit ihr alle in der DDR verhafteten RAF-Aussteiger sind seit über zehn Jahren „resozialisiert“. Das wissen auch die Richter. Urteilsschelte wäre deshalb der naheliegende Reflex nach dem Zwölf-Jahre-Spruch des Stammheimer Gerichts. Aber sie trägt nicht weit.

Tatsächlich liegt das Dilemma in der Anwendung der windigen Kronzeugenregelung als Notanker für eine Personengruppe, für die sie nicht formuliert wurde. Auf die eigentliche Zielgruppe — Illegale, die weiter auf den bewaffneten Kampf setzen — übt dieses Gesetz keinerlei Reiz aus. Die Formel „Strafnachlaß gegen Verrat“ ist im Gegenteil geeignet, den ideologischen Blick auf diesen Staat zu zementieren. Trotzdem ist seit gestern klar, daß das Kronzeugengesetz so hingebogen werden kann, daß die „falsche“ Personengruppe vor lebenslangen Freiheitsstrafen bewahrt bleibt. Viel mehr nicht, aber immerhin. Das ist weniger den Richtern als den Politikern vorzuwerfen, die es versäumt haben, rechtzeitig weniger haarige Alternativen vorzubereiten. Dazu ist es noch nicht zu spät.

Die historische Aufarbeitung der RAF-Politik vor Gericht ist sicherlich richtig und überfällig. Aber nach Ende der Prozeßserie muß gründlich über Amnestie, mindestens jedoch frühe Gnadenerweise nachgedacht werden. Die Bundesanwaltschaft pflegte von Anfang an ein rein taktisches Verhältnis zum Kronzeugengesetz. Im Prozeß gegen Werner Lotze lag ihre Forderung bei neun Jahren. Gegen die verhängten zwölf Jahre wollte sie sogar in die Revision gehen — und zog anschließend den Schwanz ein. Für Susanne Albrecht forderte sie selbst zwölf Jahre. Der Sinneswandel ist augenfällig. Der Versuch, mit milden Strafanträgen die aktive RAF zu verunsichern, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Er wurde inzwischen offenbar aufgegeben. Nun geht es wohl vorrangig darum, wenigstens dem Vorwurf des „Deals mit den Verrätern“ zu entgehen.

Ganz nebenbei hat das Stammheimer Gericht gestern die heilige Staatsschutzthese von der Kollektivität der RAF angekratzt. Wenn Susanne Albrecht immer „Außenseiterin“ blieb und für die RAF eher „Ballast als Gewinn“ war, dann steht das „Kollektiv RAF“ in Frage. Daß gegen sie trotzdem im Fall Ponto auf Mord erkannt und im Fall Haig die arbeitsteilige Durchführung des Anschlags hervorgehoben wird, gehört zu den offenen Widersprüchlichkeiten dieses Urteils. Die Aufrechterhaltung der längst widerlegten Kollektivitätsthese geht zu Lasten der Logik. Gerd Rosenkranz