UNO stellt Arbeit in Äthiopien ein

Mitarbeiter sollen baldmöglichst evakuiert werden/ Hilfsoperationen für Millionen Flüchtlinge und Hungernde kommen zum Erliegen/ Neue Regierung sucht Annäherung an Weltbank und IWF  ■ Aus Addis Abeba Bettina Gaus

Noch immer ist die Lage in weiten Teilen Äthiopiens so gefährlich, daß die Hilfsoperationen für Hungernde und Füchtlinge fast vollständig zum Erliegen gekommen sind. Die Flughäfen des Landes blieben auch gestern geschlossen. Die Straße von der eritreischen Hafenstadt Assab, in der rund 100.000 Tonnen Nahrungsmittel lagern, nach Addis Abeba wird wie auch andere Gebiete von Banditen unsicher gemacht. Aus der Hararge-Gegend werden anhaltende Unruhen und Kämpfe gemeldet. Ein UN-Angestellter wurde in ihrem Verlauf erschossen, andere gelten als vermißt. Offiziell haben sämtliche UN-Organisationen auf Weisung aus New York hin ihre Arbeit unterbrochen. Der größte Teil der Mitarbeiter soll evakuiert werden, sobald die Verhältnisse dies erlauben. Diese Entscheidung, die in New York getroffen wurde, stößt bei nichtstaatlichen Hilfsorganisationen auf Unverständnis: „Die UNO sollte sich ihrer Verantwortung bewußt sein“, meint Roger Teck von „Médecins Sans Frontières“. Auch die „Non Governmental Organizations“ (NOGs) sind unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage, sich im Lande frei zu bewegen oder gar Transporte zu organisieren.

Unterdessen wächst die Befürchtung, daß die schon jetzt dramatische Situation sich weiter zuspitzen wird. „Im Süden hungern jetzt rund 600.000 Leute“, sagt Nicholas Southern von „Save The Children“. „Wenn wir nicht in den nächsten Wochen Nahrung in die Region bringen können, klettert die Zahl auf eine Million.“ Hunger wird aus allen Himmelsrichtungen gemeldet, am schlimmsten betroffen sollen die nördlichen Provinzen Tigray und Eritrea sein, aber auch in Ogaden wird die Lage als „beinahe katastrophal“ beschrieben. Selbst in der Hauptstadt droht der Nachschub zu versiegen, obwohl die Läden noch gut gefüllt sind. Rund eine Million Flüchtlinge sollen in den letzten Monaten nach Addis hineingeströmt sein, um den Kämpfen zu entkommen. Lange Schlangen bilden sich vor den Bäckereien. Stundenlang warten Frauen auf Kochgas und Autofahrer auf Benzin. Die Bevölkerung hamstert — das läßt die ohnehin hohen Preise weiter steigen. Meles Zenawi, Führer der neuen EPRDF- Übergangsregierung, hat dazu aufgerufen, sparsam mit Benzin umzugehen. Die Vorräte reichen nur noch für wenige Tage.

In seiner ersten Rundfunk- und Fernsehansprache malte Zenawi ein düsteres Bild. Die Wirtschaft des Landes sei völlig ruiniert. Dieser Eindruck wird auch von ausländischen Beobachtern bestätigt, die schätzen, daß mehr als 60 Prozent des Staatshaushaltes in den letzten Jahren an das Militär geflossen sind.

Schon Mengistu wollte IWF-Kredite

Nachdem der gestürzte Präsident Mengistu Haile Mariam vor gut einem Jahr eine Liberalisierung der Wirtschaft und eine Abkehr vom Sozialismus angekündigt hatte, entwickelte die Regierung ein Programm für die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF), das Äthiopien Kredite in beträchtlicher Höhe verschaffen sollte. „Wenn dieses Programm in die Tat umgesetzt werden sollte, dann wären die Äthiopier die Lieblinge der Weltbank“, sagt ein westlicher Wirtschaftsexperte, der betont, die Vorschläge seien ausschließlich aus politischen Gründen und auf Drängen der USA hin abgelehnt worden, die Mengistu nicht länger im Amt sehen wollten.

Wird die ihrem Programm zufolge marxistische EPRDF jetzt die Vorschläge des alten Regimes aus der Schublade holen? Benno Hassmer, Leiter der EG-Kommission in Äthiopien, meint: „Ich habe von Repräsentanten der EPRDF gehört, daß sie bereit sind, auf die Vorschläge der Weltbank einzugehen. Das hieße, daß sie ihre Ideologie in den Schlafzimmerschrank hängen.“

Weltbank und IWF fordern für die Gewährung von Krediten ein Reformprogramm, das in anderen Ländern Afrikas bereits auf harte Kritik gestoßen ist und nur selten Erfolge aufweisen konnte. Der Abbau von Subventionen für Grundnahrungsmittel gehört ebenso dazu wie die Privatisierung der meisten Staatsbetriebe. Wichtigstes Thema in Äthiopien: die Landwirtschaft, in der 90 Prozent der Bevölkerung beschäftigt sind. Nach dem Willen der Geldgeber soll verstaatlichtes Land in Privatbesitz oder Erbpachtgrundstücke umgewandelt werden. Damit ließen sich auch ausländische Investoren ins Land holen — der Großkonzern Lonrho soll bereits über Grunderwerb verhandeln.

Sprecher der EPRDF haben sich in den letzten Tagen schon zum freien Markt und vor allem zur freien Vermarktung von Nahrungsmittelüberschüssen bekannt. Aber was bleibt ihnen schon übrig? Das Pro- Kopf-Einkommen in Äthiopien ist das geringste Afrikas. Und bei den Verhandlungen mit IWF und Weltbank wird es um viel Geld gehen: mindestens 300 Millionen Dollar jährlich müßte die Weltbank zehn Jahre lang bereit sein auszugeben, schätzen Beobachter.