Keine Geheimgänge unterm »Kleiderbügel«

■ Zum ersten Mal konnten Besucher die Kellerräume des adlerförmig angelegten Flughafenareals in Tempelhof einsehen

Tempelhof. »Wenn Sie meinen, hier einen toten Nazi oder Russen in den unterirdischen Gängen schwimmen zu sehen, haben Sie sich geschnitten.« Manfred Schwanke, Grundstücksverwalter des Tempelhofer Flughafenareals, räumt gleich zu Beginn mit allen Mythen auf. »Glauben Sie keinen Gerüchten«, es gebe keine Geheimgänge, z.B. vom Flughafengelände zur ehemaligen Reichskanzlei, keine unterirdischen Archive, wo NS-Akten vor sich hin rotten, kein geflutetes Labyrinth, auch keine riesigen Proviantspeicher oder Fabriken sieben Stockwerke unter dem Flugfeld. Er muß es wissen: Seit 39 Jahren in Diensten der US-Air- Force, besitzt er jene drei Generalschlüssel, mit denen sich auch die verwinkeltste Tür in Tempelhof öffnen läßt. Jene schloß er gestern für die ersten Berliner Besucher auf.

Nicht mal Ratten huschen durch die gefegten Heizungstunnel. Das vom NS-Architekten Ernst Sagebiel zwischen 1934 und 36 entworfene Flughafengebäude ist ein ordentliches Haus. Zumindest, seit die Amerikaner es 1946 übernahmen und ihren Militärflughafen dort einrichteten. Mit über einer Million Quadratmetern Nutzfläche gilt der Gebäudekomplex neben dem Pentagon als einer der größten der Welt. Deutsche Gigantomanie in Adlergestalt: 1,2 Kilometer trennen den als Halbrund angelegten West- vom Ostflügel, in denen die Hangars untergebracht sind. Die Adlerform des Geländes aber sei ziemlich verhunzt worden, so Schwanke, »wir haben es damals schon ‘Kleiderbügel‚ genannt«.

Seitdem der »Kleiderbügel« wieder in deutscher Hand ist, sich gerade von einer US-Air-base mit derzeit 1.755 Mitarbeitern zum zivilen Flughafen mausert, hat Berlin ein Geheimnis weniger. Das militärische Sperrgebiet hat nur einen zu groß geratenen Keller und insgesamt fünf Kilometer Versorgungskanäle, that's it. Hinter der »terrorist hot line«, der elektronischen Schranke vor der Abfertigungshalle, trotteten die blitzlichtbewaffneten Besucher drei Stockwerke unter die Erde und sahen wenig Spektakuläres: Heizungs- und Wasserrohre — das Gelände ist mit einem Heizkraft- wie Wasserwerk weitgehend autark —, einen ausgebrannten Tresorraum, in dem Schwanke und seine Gehilfen nach dem Krieg Unmengen von verschmorten Filmrollen fanden, und den Eisenbahntunnel.

Die Schienen wurden kürzlich wieder der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn übereignet. Während des Krieges montierten die Techniker hier im Gewölbe unterhalb der Hangars Görings Jagdbomber-Geschwader. »Zwei Zentimeter war noch Luft zwischen Tragflügel und Mauer. Die waren fit die Jungs, deutsche Wertarbeit eben«, meint Schwanke. Überhaupt sei Tempelhof ein »tolles Ding«, viel besser als Tegel: »Das Teil kann man eh dichtmachen.« Tempelhof hätte genug Kapazitäten, immerhin wurden hier in den sechziger Jahren bis zu 6,3 Millionen Passagiere abgefertigt.

Für einige Minuten ließ man die Besucher dann doch in einen verbotenen Raum, in das »Berlin Air Route Traffic Control Center«. Von BARTCC aus werden die im Schnitt 700 Flugbewegungen innerhalb der noch geltenden drei Luftkorridore von und nach Berlin Tempelhof, Tegel und Schönefeld koordiniert. Seit kurzem sitzen in dem Raum auch Mitarbeiter der Bundesanstalt für Flugsicherung. »They have to learn«, meint Chief Controller Franco, unterhalb 8.000 Fuß fliegen die Sowjets, und mit ihnen gibt es nach wie vor keinen Kontakt. Nana Brink