: Pyramiden-Rückzug
■ In den USA triumphieren Milch- und Fleischlobbyisten
Das amerikanische Landwirtschaftsministerium vertritt die Interessen der amerikanischen Landwirte. Wer das noch bezweifelte, wurde kürzlich eines besseren belehrt. Das Ministerium hat neben der Betreuung der Landwirtschaftspolitik die Aufgabe, Ernährungsrichtlinien zu erstellen und die Bevölkerung zur gesunden Ernährung anzuhalten. Landwirtschafts- und Ernährungsinteressen unter einem Hut? Das machte in den Zeiten Sinn, als die Landwirte noch gesunde Nahrungsmittel lieferten. Heute sind die Aufgaben unvereinbar.
Anfang Mai wollte das Ministerium seine neuen, seit den fünfziger Jahren erstmals revidierten Ernährungsrichtlinien veröffentlichen. Die Agrar-Bürokraten hatten inzwischen kapiert, was bereits weithin bekannt ist: Zuviel Fleisch- und Milchprodukte schaden der Gesundheit. In einer für die Öffentlichkeit bestimmten Broschüre wurden die Anleitungen zum gesunden Essen mit einer Ernährungspyramide illustriert: Auf der unteren Ebene der Pyramide sind Getreideprodukte — Brot, Reis und Nudeln — angesiedelt. Darüber stehen Gemüse und Obst. Zur Spitze hin sind, gleich unter Fetten und Süßigkeiten, Milchprodukte, Eier, Fisch und Fleisch aufgereiht. Ein vernünftiger, anschaulicher Ernährungsplan, der klar zeigt, wo die Schwerpunkte liegen sollen.
Die Pyramide sollte das „Ernährungsrad“ ersetzen, das den Amerikanern seit vierzig Jahren einen Speiseplan vorschreibt, auf dem Milch- und Fleischprodukte dominieren. Verbraucherverbände begrüßten die geplante Neuerung. Doch das Landwirtschaftsministerium hatte seine anderen Klienten vergessen: Die Milch- und Fleischproduzenten. Die warfen einen Blick auf die Pyramide und waren entsetzt. „Uns gefällt nicht, wie wir aussehen“, beklagte sich eine Vertreterin der Milchindustrie. Und auch die Fleischindustrie wollte sich nicht mit dem kleinen, an die Süßigkeiten angrenzenden Raum begnügen, den sie auf der Pyramide einnimmt. „Das sieht aus, als ob gute Nahrungsmittel gegen schlechte ausgespielt werden“, maulte Alisa Harrison von der Rindfleisch-Lobby. Verbraucher könnten aus der Pyramide schließen, daß „sie ihren Fleischverzehr drastisch verringern sollen“.
Mit lautem Gezeter zwang die mächtige Landwirtschafts- Lobby die Agrar-Bürokraten zum Rückzug der Pyramide. Nun gehen zwar die Ernährungswissenschaftler auf die Barrikaden, doch die haben in Washington nicht viel auszurichten.
Und die Moral der Geschichte? Die amerikanische Landwirtschaft hat mit gesunder Ernährung nichts mehr gemein. Bonnie Liebman von der Verbraucherschutzgruppe „Science in the Public Interest“: „Das Landwirtschaftsministerium zieht die Interessen der Fleisch-, Eier- und Milchindustrie denen der Gesundheit der Öffentlichkeit vor.“ Die Regie über Ernährungsfragen solle zukünftig einem anderen Ministerium anvertraut werden. Silvia Sanides
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