Zum Schweigen verurteilt

■ Die demokratische Opposition in China mit dem Rücken zur Wand

Zum Schweigen verurteilt Die demokratische Opposition in China mit dem Rücken zur Wand

Ein paar zertrümmerte Flaschen, weiße Blumen hier und da auf Pekings Straßen — am zweiten Jahrestag des blutigen Endes der Demokratiebewegung in China herrschte Ruhe in Peking. Deng Xiaoping und die KP-Führung können zufrieden sein. Die Opposition im Lande schweigt, sitzt im Gefängnis, in Arbeitslagern oder im inneren Exil. Die Dissidentenorganisationen im Ausland sind zersplittert. Die ins Ausland Geflohenen sind mit der Sicherung ihres praktischen Überlebens beschäftigt, damit, Papiere, Geld, Arbeit zu organisieren, den Nachstellungen der chinesischen Botschaften zu entgehen und ihre in China lebenden Freunde und Verwandten nicht zu gefährden.

Geradezu dankbar hat das Ausland jeden noch so kleinen Vorwand, den das Pekinger Regime lieferte, aufgegriffen, um eine Rechtfertigung für das Ende der Sanktionen und die Normalisierung der Beziehungen zu finden: Chinas Haltung im Golfkrieg, die Kooptation und Rehabilitierung einiger Reformer im Staats- und Regierungsapparat. George Bush verlängerte die Meistbegünstigungsklausel für China um ein weiteres Jahr und begründete das mit dem Hinweis, diejenigen, die sich für eine Nichtverlängerung einsetzten, gäben sich „in falsche Moralität gehüllter Selbstgerechtigkeit“ hin. Er fügte hinzu: „Man reformiert die Welt nicht, indem man sie ignoriert.“ Bushs Äußerungen und die unsägliche Umarmung „seines Freundes“ Li Peng durch Staatssekretär Lengl zeigen, daß die Pekinger Regierung sich nicht verkalkuliert hat.

Ihre stärkste Karte jedoch ist das gemeinsame Interesse des Auslands an stabilen Verhältnissen. Das paßt bestens zum unermüdlich propagierten Anspruch der KP Chinas, einzige Garantin von Einheit und Stabilität zu sein. Kaum noch jemand in China, der ernstlich meint, es ginge der Partei um die Bewahrung der Ideologie. „Parteichef Jiang Zemin glaubt doch nicht mehr an den Kommunismus, die träumen doch alle davon, ein neuer Jiang Jingguo (der verstorbene Chef der Nationalchinesischen Partei in Taiwan) zu sein!“, sagte kürzlich ein chinesischer Dissident. Da treffen sich das reine Interesse der Pekinger Führung am Machterhalt — sei es gegenüber denen, die Demokratie und Partizipation in der Politik fordern, oder gegenüber den Eigenständigkeitsbestrebungen in den chinesischen Provinzen — mit der Furcht des Westens angesichts eines möglicherweise mit der Sowjetunion vergleichbaren Prozesses der Destabilisierung des Landes. Solange die chinesische KP dem Ausland gegenüber glaubhaft vertreten kann, nur sie allein werde das Land vor dem Chaos bewahren, so lange werden die Hoffnungen der chinesischen Demokratiebewegung auf internationale Unterstützung unter dem machtpolitischen Kalkül begraben bleiben. Jutta Lietsch