Weiteres Waffendepot in Addis Abeba explodiert

Ein Journalist getötet/ Ursache unklar, neue Machthaber sprechen von Sabotage/ Mengistu ließ offenbar aus strategischen Gründen Waffenlager in der Innenstadt anlegen/ Die bislang privilegierten Amharen befürchten ethnische Unruhen  ■ Aus Addis Abeba Bettina Gaus

Manchen war die Ruhe der letzten Tage in Äthiopiens Hauptstadt nicht geheuer: Allzu glatt, allzu unblutig schien der Sturz des alten Regimes und der Einmarsch der EPRDF-Rebellen sich vollzogen zu haben. In den frühen Morgenstunden des Dienstags bestätigten sich dann schließlich die Befürchtungen: Ein Militärdepot flog in die Luft — zwei Stunden lang erleuchtete ein Flammenmeer den nächtlichen Himmel. Raketen explodierten, Geschosse schleuderten in alle Richtungen. Dann, plötzlich und unerwartet, ein weiterer Knall: Das Feuer hatte auf ein Benzin- und Diesellager der Firma AGIP übergegriffen. Im Umkreis von mehreren Kilometern barsten Fensterscheiben, wurden Türen aus den Angeln gerissen. Einige Journalisten befanden sich wenige hundert Meter vom Zentrum der Explosion entfernt. Ihre Recherche endete tragisch: Der Tonmann John Mathai wurde getötet, der Fernsehjournalist Muhammed Amin — berühmt geworden durch seine BBC- Reportage über die Hungerkatastrophe in Äthopien 1984 — überlebte schwer verletzt. Niemand weiß, wieviele Menschen in dieser Nacht des Schreckens ums Leben gekommen sind. Die Krankenhäuser sind voll, aber nicht alle Verletzten konnten gleich zum Arzt gebracht werden: Es fehlte an Autos und Lastwagen.

Werner Wolbers, Mitarbeiter der SOS-Kinderdorforganisation lebt etwa einen Kilometer vom Militärdepot entfernt. Er flüchtete nach den ersten Explosionen: „Wir wurden aus dem Haus praktisch herausgeschleudert. Auf der Straße herrschte Chaos. Alle Leute rannten Richtung Stadtzentrum, mit Decken und anderen Habseligkeiten, was sie halt gerade noch greifen konnten. Und sie waren sehr aggressiv. Ich habe gesehen, wie Leute gegen einen EPRDF- Mann beinahe handgreiflich wurden.“

Noch steht nicht fest, was das Inferno ausgelöst hat. Mehrere Augenzeugen berichten, Schüsse gehört und den Widerschein von Feuer gesehen zu haben, etwa eine Stunde bevor das Militärlager explodierte. Diplomaten halten einen Unglücksfall für wahrscheinlich. Von einem Sabotageakt des alten Regimes sprachen Vertreter der EPRDF-Übergangsregierung — eine Anschuldigung, die sich derzeit weder bestätigen noch widerlegen läßt. Eines aber ist unbestreitbar: Die Regierung des gestürzten Präsidenten Mengistu hat Militärdepots mitten in Wohngegenden errichtet. So glaubte sie vor einem Angriff auf Addis Abeba besser geschützt zu sein — und das wurde der Zivilbevölkerung jetzt zum Verhängnis.

Welche Waffengattungen im einzelnen in dem Depot gelagert waren, war zunächst unklar. Berichte von Phosphorbränden und Napalm machten die Runde. Über Stunden hinweg war die Gefahr nicht gebannt: Unmittelbar neben den brennenden AGIP-Tanks lagern die Bestände der Firma Mobil. Sie hätten jeden Augenblick explodieren können — aber die Bevölkerung schien sich des Damoklesschwertes nicht bewußt zu sein: Hunderte wanderten in unmittelbarer Nähe des Flammenmeeres die Straße entlang oder standen da und beobachteten das Feuer. Allein die günstige Windrichtung scheint weitere Todesopfer zunächst verhindert zu haben.

War der Feuerball nur der Auftakt zu neuem Blutvergießen? Werden nun doch noch mehr Menschen in Addis Abeba sterben? Immer deutlicher war in den letzten Tagen geworden, daß viele Bewohner nicht an den bei den Londoner Friedensverhandlungen vereinbarten Zeitplan glauben. Danach sollen noch in diesem Monat Vertreter aller früheren Rebellengruppen zu Gesprächen zusammenkommen und dann eine gemeinsame neue Übergangsregierung bilden, die bis zu freien Wahlen im Amt bleiben soll. Meles Zenawi, Führer der EPRDF, hat nach seiner Rückkehr aus London am Wochenende versprochen, daß seine Organisation sich an die Vereinbarung halten wird. Viele Männer und Frauen in Addis Abeba aber zeigen Mißtrauen gegen alle Verlautbarungen der EPRDF. Rivalitäten zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen scheinen nach wie vor ein Hauptproblem des schwelenden Konflikts zu sein. Viele bislang privilegierte Amharen fürchten, von den siegreichen Tigreern unterdrückt zu werden, die Oromo — die größte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens — wollen an der Macht gerecht beteiligt werden. Addis Abeba ist im wörtlichen wie im übertragenen Sinne noch immer ein Pulverfaß.