BGH fordert Treue und Loyalität von Gewerkschaftsmitgliedern

Mannheim (taz) — Der Bundesgerichtshof (BGH) hat der IG-Chemie- Führung letztinstanzlich das Recht zugebilligt, ihre „Dissidenten“ bei Boehringer Mannheim aus der Organisation auszuschließen. In dem jetzt veröffentlichten Urteil erklären die Karlsruher Richter, daß Mitglieder von Gewerkschaften ihrer Organisation gegenüber zu „Treue“ und „Loyalität“ verpflichtet seien. Verstoßen Mitglieder gegen diese Treuepflicht erheblich, dann darf ihre Gewerkschaft sie ausschließen. Die Richter besiegelten damit den seit 1988 währenden Rechtsstreit zwischen der IG Chemie und ihren betrieblichen Funktionären im größten baden-württembergischen Betrieb der Branche. Damals hatte sich die gesamte elfköpfige Leitung der Vertrauensleute (VKL) dagegen gewehrt, daß die Hannoveraner IG- Chemie-Zentrale über ihre Köpfe hinweg die Kandidaten für den Aufsichtsrat bestimmte. Am Ende fielen die IG-Chemie-Kandidaten durch. Die Rappe-Gewerkschaft rächte sich, indem sie die gesamte VLK- Leitung aus der IG Chemie ausschloß.

Im vergangenen Sommer waren diese Ausschlüsse vom OLG Celle als rechtswidrig verworfen worden. Anders jetzt die Revisionsinstanz: Nach Auffassung des BGH sind Gewerkschaften zur Erfüllung ihrer Aufgabe auf Geschlossenheit und Solidarität angewiesen: „Das Bild einer zersplitterten, in sich selbst uneinigen Gewerkschaft“ schädige in beträchtlichem Maß deren Ansehen bei Mitgliedern, Arbeitgebern und Öffentlichkeit. Das OLG Celle hatte sich in seiner Entscheidung auf die gängige Rechtsprechung des BGH bezogen, nach der nicht aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden darf, wer bei Betriebsratswahlen gegen die offizielle Liste seiner Gewerkschaft kandidiert und so die offizielle Gewerkschaftslinie angreift.

Der BGH stellte jetzt klar, daß seine bisherige Rechtsprechung strikt nur auf den „Sondertatbestand“ von Wahlen zum Betriebsrat angewendet werden könne, wenn sie nicht zu einer „ungerechtfertigten Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Gewerkschaften durch die staatliche Gerichtsbarkeit führen solle. Jedes Betriebsmitglied solle hier ohne Einschränkungen durch die Gewerkschaft jene Kollegen wählen können, denen die beste Betriebsratsarbeit zugetraut werde. Die damit verbundene „Einschränkung der gewerkschaftlichen Autonomie“ ergebe sich allein zum „Schutz der besonderen Ziele des Betriebsverfassungsgesetzes“.

Bei Wahlen zum Aufsichtsrat könnten derartige Einschränkungen jedenfalls schon deshalb nicht gelten, weil das Gesetz hier keine eigenen Listen von Belegschaftsmitgliedern vorsehe, sondern die Wahlvorschläge allein von den Gewerkschaften aufgestellt würden. Rolf Gramm