Verwirrung um BND-Dossier zu „Gladio“

Nicht nur Italiener sind einigermaßen überrascht: Geheimdienstseilschaft angeblich keine Nato-Einrichtung, sondern CIA-Zögling/ Ist das Dossier die Rache der Bonner an Andreotti?  ■ Aus Rom Werner Raith

Aufgeregte Fragen und verwirrende Antworten begleiten ein überraschend in Rom eingetroffenes und auf dem Weg vom Außenminister über den Staatspräsidenten an den Regierungschef weitergeleitetes Dossier des Bundesnachrichtendienstes: Es geht um die Geheimstruktur „Stay behind“, besser bekannt als „Gladio“.

Die in nahezu allen europäischen Ländern vorhandene Einrichtung, die seit den 50er Jahren bestand und bis 1990 weiterlebte, was alles jedoch erst Ende vergangenen Jahres bekannt wurde und für große Skandale gesorgt hatte, soll nach BND- Behauptungen nicht wie bisher allseits angenommen, eine reguläre, wenn auch verdeckte Nato-Einrichtung gewesen sein. Vielmehr sei „Gladio“ resp. „Stay behind“ ausschließlich vom amerikanischen Geheimdienst CIA in bilateralen Absprachen eingerichtet worden, um für den Fall des Überrolltwerdens durch sowjetische Truppen Partisanen und Helfer zum „Expatriieren“ wichtiger Forscher, Techniker und Politiker auszubilden.

Fällt in Italien das Staatsgeheimnis?

Die italienische Regierung kommt durch das Dossier in schwere Bedrängnis: Sie hatte über die Sache unter Hinweis auf Nato-Absprachen das Staatsgeheimnis verhängt und so Ermittlungen über Verwicklungen von „Gladiatoren“ in rechtsradikale Attentate und Staatsstreichpläne blockiert.

Sollte sich bestätigen, daß „Stay behind“ keine Nato-Einrichtung ist, fällt auch das Staatsgeheimnis, und die Staatsanwälte können endlich herausbringen, wer alles zu den „Gladiatoren“ zählte, was er dabei machte — und ob der gesamte Bund nicht neben Partisanenausbildung auch noch andere Ziele verfolgte, etwa die Ausschaltung der Kommunisten und anderer Oppositioneller aus der italienischen Politik. Die Gründe, die zu einem derart spektakulären Affront der Bonner Behörden gegenüber der italienischen Regierung geführt haben, sind bisher nicht bekannt.

Schlagabtausch

Im Spiel sein könnte ein weiterer Schlagabtausch im Rahmen der schon länger (speziell seit der von den Italienern mißtrauisch verfolgten Wiedervereinigung, verschärft dann im Golfkrieg) gespannten Beziehungen zwischen Bonn und Rom; wahrscheinlicher jedoch handelt es sich um eine Art verspätete Retourkutsche für die gezielten Enthüllungen von Ministerpräsident Andreotti über die Existenz „Gladio“-analoger Strukturen in den anderen Nato-Ländern, darunter auch in der Bundesrepublik.