DIEWELTISTBUNT  ■  JÜRGEN BALDIGA MIT SEINEN
SCHWARZ/WEISS-FOTOS IN DER
GALERIE BELLEVUE

Schon das Einladungskärtchen verrät den schwulen Künstler: Niemand Geringeres als Queen Elizabeth II. mitsamt Gatten Philip laden darauf zu Jürgen Baldigas Fotovernissage »Die Welt ist bunt« heute abend in die Galerie Bellevue. Mit »queens« machte sich Baldiga einen Namen, doch weniger mit dem britischen Königshaus als mit den Berliner Tunten; in jeder guten schwulen Stube steht schließlich sein legendäres Tuntenfotobuch im Regal. Die Ausstellung zeigt darüberhinaus einen Querschnitt seines gesamten Schaffens, darunter etliche Fotos aus neuerer Zeit. Allein die Motive blieben dieselben; die Außenseiter, die Absonderlichen und natürlich: Er selbst.

Daß Jürgen HIV-positiv ist — »im letzten Stadium« — sprach sich schnell herum; als »den Fotografen mit Aids« versuchen ihn die Medien zu vermarkten. »Zum Kotzen« findet er das und betont dennoch, wie wichtig es ihm ist, offen zu der Krankheit zu stehen; nichtzuletzt hat sein Bekanntheitsgrad ihm die erste große Ausstellung mit ermöglicht. Natürlich spiegelt sich in seinen Fotos auch die Auseinandersetzung mit dem nahenden Tod wieder. Mehrfach taucht das Engelsmotiv auf, einen Raum reservierte sich Jürgen ausschließlich für Selbstportraits. »Ich mache die Ausstellung für mich«, sagt er, »es könnte ja die letzte sein«.

Wer aber nun ein Leidensspektakel erwartet, wird enttäuscht. Jürgen Baldigas Lieblingsthema ist das lebendige Portrait — von seinen Freunden und verschrobenen Zufallsbekanntschaften. Da sind etwa seine schwangere Mitbewohnerin, der schüchterne Penner aus der Zickenplatz-Klappe oder die alte Frau, die ihn beim Einkaufen ansprach und sich ein paar Tage später vor ihm in die Badewanne legte. Jürgens Großportraits vermischen Ästhetik und Realität, kratzen an deren Konturen, knacken uralte Tabus. Die Fotos lassen die seltene Nähe und Vertrautheit zwischen Fotograf und Modell spüren. Auf die absonderlichsten Leute vermag sich Jürgen Baldiga einstellen, weil er sie versteht.

Daß Jürgen dabei mit einer vollautomatischen Kamera arbeitet, ist kaum zu glauben. »Technik mag ich überhaupt nicht«, sagt der Autodidakt, »mir ist der Ausdruck wichtig«. Daß der Ausschuß dann manchmal groß ist, ist ihm egal. Sein Grundprinzip verläßt er allein bei den Aufnahmen naiv-schnuckliger Jungs, die die Ausstellung leicht durchdringen. »Diese boys«, meint Jürgen lapidar, »gefallen mir halt«.

Tunten fotografiert Jürgen dennoch am allerliebsten. »Was die alles machen«, staunt er, »finde ich toll«. Im Caféraum der Galerie sind dann auch alle versammelt: Die selige Polette, die eigenwillige Melitta Poppe, Nachwuchsstar Suleika Bergmann-Pohl, die eitle BeV StroganoV und die anderen Berliner Koryphäen. Jürgen Baldiga schnitt die Tuntenfotos rund, rahmte sie in polnischen Tellern und arrangierte diese mit echten Rosenthal-Aufhängern liebevoll an der Wand. Das ist sicher der originellste Teil der Ausstellung: Fototeller, so wunderschön kitschig, wie man es sonst nur von den Bildern der britischen Königsfamilie kennt (bis 30.6., jeweils Mi-So 15-20 Uhr). Micha Schulze

VERNISSAGE19UHR,FLENSBURGERSTR.13