Wir haben jetzt den Normalzustand

■ Heute abend erhält der DEFA-Regisseur Frank Beyer ("Spur der Steine") im Rahmen der Bundesfilmpreisverleihung ein Filmband in Gold für sein Gesamtwerk. Ein Gespräch über das Filmemachen vor und nach...

taz: Ihr letzter DEFA-Film, der im Herbst bei uns in die Kinos kommt, heißt „Der Verdacht“: die Geschichte eines jungen Mannes, der verdächtigt wird, Rebublikflucht begehen zu wollen. Die Vorlage stammt von Volker Braun, das Drehbuch schrieb Ulrich Plenzdorf. Sie wollten die Geschichte schon in den 70er Jahren verfilmen?

Frank Beyer: Brauns Erzählung Die unvollendete Geschichte stammt zwar von 1974, erschien aber zunächst nur in der Bundesrepublik. Erst Ende '88 ist es in der DDR erschienen. Damals habe ich sofort einen neuen Versuch gemacht, den Film drehen zu können. Die DEFA hat dann immerhin ein halbes Jahr später, also noch zu Zeiten der DDR, den Drehbuchauftrag erteilt. Dann allerdings hat uns der Sommer erwischt und der Herbst '89, und was ein aktueller Gegenwartsstoff war, wurde plöztlich zur Historie. Ich dachte, ich sollte trotzdem an dem Stoff festhalten.

Wie trägt ein Filmemacher dem Rechnung, daß ein Gegenwartsstoff über Nacht Historie wird? Wie unterscheidet sich der Film, den Sie jetzt gedreht haben, von dem, den Sie 1974 nicht drehen durften?

Die Erzählung von Braun enthält die Vision eines basisdemokratischen Verhaltens der Leute. Da wird zum Beispiel Gericht gehalten über den Parteisekretär und den Kaderleiter, die beinahe den Tod dieses Jungen verschuldet hätten. Jetzt, nach dem Ende der DDR, hatte ich plötzlich das Gefühl, diese Vision sei anachronistisch: Niemand wird glauben, daß Braun das 1974 so aufgeschrieben hat. Alle werden sagen, nun, nachdem all das in der Realität stattgefunden hat, kommen die und tun so, als hätten sie's erfunden. Also mußte ich diesen Teil der Geschichte vollständig verändern. Der Kern der Geschichte ist jedoch geblieben, ich hoffe, zu Recht: Der Verdacht ist eine Liebesgeschichte mit ein paar spezifischen DDR-Realitäten, aber sie könnte auch woanders spielen.

Daß einen über Nacht die Wirklichkeit einholt, ist natürlich ein Problem. Die Zeit ist inzwischen so schnellebig. Ich weiß gar nicht, ob die Leute sich jetzt noch so wahnsinnig erinnert fühlen wollen. Wir waren doch alle beteiligt. Alle haben doch ein bißchen ein schlechtes Gewissen. Diesen Spiegel wollen sie nicht unbedingt vorgehalten bekommen. Ich bin deshalb sehr unsicher über die Chancen des Films Der Verdacht, schwanke zwischen Hoffnung und Zweifel.

Wie verändert das Wissen darum, daß das Publikum die eigene Geschichte vielleicht gar nicht im Kino serviert bekommen will, Ihre Arbeit?

Das ist der Kern all meiner momentanen Überlegungen bei der Frage: Was wird mein nächster Film? Was mache ich nächstens im Kino? Ich habe keine Antwort. Ich habe angefangen zu studieren: Was schauen sich die Leute an, welche amerikanischen Filme sehen sie gerne? Solche Filme kann ich ihnen nicht liefern, ich kann nicht plötzlich einen Hollywoodfilm drehen. Wonach ich suchen muß, ist eine Story. Aber die Story habe ich im Augenblick nicht.

Sie haben im letzten Jahr auch zwei Fernsehproduktionen fertiggestellt, im Frühjahr drehten Sie „Sie und Er“ nach einem Buch von Klaus Poche, davor den Zweiteiler „Das Ende der Unschuld“: die Geschichte der deutschen Atomphysiker, die während des Nationalsozialismus am Uranprojekt in Deutschland arbeiteten. Das Drehbuch schrieb Wolfgang Menge.

Die Arbeit an Das Ende der Unschuld begann unmittelbar nach dem Bruch, noch 1988, ich hatte zunächst das Gefühl, ich mache einen historischen Film. Welche Bezüge er zur Gegenwart haben wird, ahnte ich damals nicht. Zunächst interessierte mich — und mein Interesse an diesem Thema ist 25 Jahre alt —, wie sich aus einer anfangs wertfreien wissenschaftlichen Entdeckung innerhalb von ganz wenigen Jahren das Massenvernichtungsmittel Atombombe entwickelt hat. Das wollte ich den Leuten sinnlich vorführen. Im Herbst '89 schrieben wir dann den zweiten Teil, über das Verhalten dieser deutschen Wissenschaftler nach Kriegsende während der Internierung im englischen Farmhall, also über den Zeitpunkt, zu dem sie anfingen, über ihre Mitverantwortung zu reflektieren, ihre Teilhabe oder Nicht-Teilhabe. Plötzlich entdeckte ich sehr große Ähnlichkeiten mit der Situation des Intellektuellen, auch des Künstlers in der DDR und in der unmittelbaren Zeit nach ihrem Zusammenbruch.

Verstrickung und Mitläufertum sind ja Themen, die Sie in vielen Ihrer Filme behandeln. Und in Ihrer inzwischen berühmten Rede im November '89 anläßlich der Wiederaufführung von „Spur der Steine“ forderten sie das Gespräch gerade darüber, über die Täter, die zugleich Opfer sind und umgekehrt, über die Komplizenschaft der beiden. Sie sagten damals: „Es sind die Machtstrukturen des Stalinismus, über die wir reden müssen und die wir vollständig und für immer zerstören müssen.“ Haben Sie den Eindruck, daß dieses Gespräch in den letzten eineinhalb Jahren stattgefunden hat?

In der Tat halte ich die Täter-Opfer-Beziehung für eines der großen Themen unseres Jahrhunderts. Sicher sind diese Strukturen, von denen ich damals sprach, zerstört. Das Zensursystem, das Kulturministerium und die Abteilung Kultur im ZK der SED gibt es nicht mehr.

Aber der ehemalige Filmminister lektoriert Drehbücher. Es sitzen doch viele der früher Verantwortlichen auf neuen Posten.

Der Filmminister lektoriert die Drehbücher doch sicher anders, als er es früher getan hat.

Immerhin entscheidet er nach wie vor mit über das Zustandekommen und Nichtzustandekommen von Filmen. Mir wäre es lieber, er würde einer anderen Arbeit nachgehen.

Mich hat, und das habe ich auch in meiner Rede damals gesagt, das Personal weniger interessiert als die Strukturen. Es ging und geht nicht darum, öffentliche Rechenschaft zu verlangen, dieses Gespräch über die eigene Verstrickung kann nicht auf dem Marktplatz stattfinden. Ich bin allerdings für eine genaue Analyse.

Wenn Bundesinnenminister Schäuble, der Ihnen am Donnerstagabend ja ein Filmband in Gold für Ihr Gesamtwerk überreichen wird, sagt: „Ist es wirklich so schlimm, wenn heute viele ihre Vergangenheit anders darzustellen versuchen, zum Teil auch selbst anders sehen, als dies immer den Tatsachen entspricht?“, wenn er zu Rücksicht und Vergebung auffordert wie kürzlich bei der Tagung des Schriftstellerverbandes, dann können Sie dem zustimmen?

Ich bin davon nicht soweit entfernt.

Nach den immer neuen Veröffentlichungen über Stasi-Mitarbeit und Funktionieren von Zensur in der ehemaligen DDR drängt sich mittlerweile fast die Frage auf, wen es außer den Staatskünstlern und denen, die gegangen sind oder gehen mußten, eigentlich noch gab. Was ist mit denen dazwischen? Wie erklären Sie sich das Schweigen der meisten Intellektuellen seit über einem Jahr? Wie sehen Sie nachträglich Ihre eigene Rolle?

Zunächst einmal: Ich lasse mir von niemandem vorhalten, daß ich hiergeblieben bin. Und ich halte keinem meiner Freunde, die weggegangen sind, vor, daß sie weggegangen sind. Zweitens: Die Verstrickung ist tatsächlich ein Thema, das mich seit langem beschäftigt, und es ist ein schwieriges Thema. Natürlich gefällt es mir nicht, wie sich jetzt massenhaft Leute, die wirkliche Täter waren, als Opfer stilisieren. Selbst Honecker sagt, er habe ja nicht die Mauer gebaut, sondern lediglich den Beschluß des Warschauer Pakts ausgeführt. Und er hat ja auch noch Recht dabei.

Aber gleichzeitig sind die Filme, die ich zum Beispiel gemacht habe, ja alle unter den Bedingungen der sogenannten sozialistischen Kulturpolitik entstanden. Hin und wieder waren sie nicht konform, aber nur hin und wieder. Viele meiner Filme sind ja in Übereinstimmung mit dieser Kulturpolitik entstanden, von Nackt unter Wölfen bis hin zu Spur der Steine: Selbst dieser Film wurde ja erst nach den ersten Aufführungen verboten. Es war ja nicht so, daß wir bewußt unterlaufen hätten, das kann man als Schriftsteller zu Hause am Schreibtisch, aber man konnte doch hier keinen Film drehen, ohne dafür die offizielle Genehmigung und das Geld zu haben. Nun wird sich jeder einzelne fragen: Habe ich nicht viel zu lange Dinge mitgemacht, die ich schon längst durchschaut hatte und nicht mehr hätte mitmachen dürfen?

Als wir 1964 mit Spur der Steine angefangen haben, war das mit der Hoffnung verbunden, daß, wenn wir diese Art Filme machen können, diese Kulturpolitik auch in Ordnung ist. Gerade nach dem Mauerbau haben wir gedacht, nun sind wir unter uns, jetzt ist die Grenze gesichert, wie das damals im offiziellen Sprachgebrauch hieß, und jetzt wollen wir uns kritisch über die Verhältnisse in der DDR auseinandersetzen.

Der Mauerbau also nicht als Bedrohung, sondern als Befreiung.

Also Befreiung nun gerade nicht. Eher eine Niederlage, aber eine, von der man sich vielleicht noch erholen kann. Ich will das nicht verallgemeinern. Ich hatte keine Verwandten im Westen, die Mauer schränkte mich persönlich nicht ein — für andere war das ganz anders —, ich sah sie als Notwendigkeit an für eine Konsolidierung, infolge derer dann zum Beispiel wichtige Bücher herauskamen. Bei mir war Aufbruchstimmung. Aber dann stellte sich heraus, daß die Kulturpolitik Filme wie Spur der Steine und die anderen Tresorfilme doch nicht wollte. Ich sah das damals als schreckliche Überreaktion an. Obwohl ich und andere eine Zeitlang keine Filme mehr machen konnten, ist 1966 keiner von uns außer Landes gegangen. Ich hatte das Gefühl, das muß zwar irgendwann korrigiert werden, aber es ist nicht das Ende. Ich habe an meinen Plänen festgehalten, zum Beispiel an dem Vorhaben, mit Jurek Becker Jakob der Lügner zu drehen, und ich habe gedacht, man muß einen längeren Atem haben.

Dann kam 1968. '66 war ja in Prag schon der Frühling ausgebrochen, bei den tschechischen Filmen war die Entwicklung viel weiter gediehen. Mit den Panzern war Schluß. An diesem Tag — ich war damals beim Staatstheater Dresden, die DEFA hatte ich ja verlassen müssen —, in diesem Jahr, das kann ich Ihnen sehr genau sagen, habe ich mich feige verhalten. Ich wußte, wenn ich jetzt irgend etwas sage, bin ich meinen Beruf endgültig los. Bis zum 13. August hatte ich das 'Rude Pravo‘ abonniert — ich habe ja in Prag studiert und spreche tschechisch —, und ich war froh, daß niemand von mir eine Stellungnahme verlangte. Ich hätte zwar nicht gesagt, ich begrüße den Einmarsch der Panzer, aber ich hätte auch nicht gesagt, daß ist das Ende aller Hoffnungen für einen demokratischen Sozialismus in Europa auf absehbare Zeit, was meine wirkliche Meinung war.

1974 konnten Sie wieder einen Kinofilm drehen, „Jakob der Lügner“: die Geschichte eines Juden im Ghetto, der seinen Freunden mit erfundenen Nachrichten, mit Lügen also, Mut macht, damit sie durchhalten. Ist das auch ein — vielleicht unbewußter — Reflex gewesen auf die eigene Rolle, die des Künstlers in der DDR?

Es hat sicher etwas damit zu tun. Jakob der Lügner ist die Geschichte eines Mannes, der in hoffnungsloser Zeit Hoffnung verbreitet. Aber die einfache Chronologie — Spur der Steine, acht Jahre kein Kinofilm, dann Jakob der Lügner — ist eine Verkürzung, die so nicht stimmt. Jakob der Lügner lag ja 1965 schon als fertiges Drehbuch vor, da hatten die Querelen um Spur der Steine noch gar nicht angefangen. Ich habe dann aber lange an diesem Projekt festgehalten und sicher tue ich so etwas nicht acht, zehn Jahre lang, wenn mich die gedankliche Substanz dieses Projektes nicht ganz irrsinnig bewegt. Im Film verwandelt sich die Hoffnung ja in Illusion und schließlich in Selbstbetrug. Natürlich frage ich mich jetzt, wie lange habe ich mir berechtigt Hoffnungen gemacht, und ab wann waren es nur noch Illusionen?

Zur Wehr gesetzt habe ich mich dann bei der Biermann-Ausreise. Ich war in diesen Tagen emotional sehr aufgewühlt. Manfred Krug und Jutta Hoffmann, mit denen ich gerade das Versteck drehte, wollten mir von der Unterschriftenaktion gar nichts erzählen, weil sie mich nach meinen Erfahrungen von 1966 nicht schon wieder in den Schlamassel geraten sehen wollten. Aber ich habe den Protest gegen Biermanns Ausbürgerung dann unterschrieben, und ich erinnere mich an meine Gemütslage genau: das war meine Rache für 1966.

Dann drehte ich Geschlossene Ge

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sellschaft, den Fernsehfilm nach dem Buch von Klaus Poche, wieder ein Gegenwartsfilm, der aus dem Verkehr gezogen wurde, wieder wurden mir meine Projekte weggenommen und ich saß ein Jahr lang auf dem Sofa und habe eine Hose nach der andern durchgerutscht und hatte das Gefühl, jetzt ist Schluß. Ich habe dann einen langen Brief an Kurt Hager geschrieben und ihm klar gemacht, daß wenn irgendein Rest von Konsens noch übrigbleiben soll, sie mir erlauben müssen, da zu arbeiten, wo man meine Arbeit schätzt. Das war die Bundesrepublik.

Wie verändern diese Bedingungen von Zensur und Verbot die Werke, die Filme, Literatur etc.? Der Ministerpräsident von Sachsen hat kürzlich gesagt, die Unterdrückung in der DDR habe Werke wie die von Christa Wolf oder Stefan Heym überhaupt erst möglich gemacht.

Eine gewagte Hypothese.

In jedem Fall gibt es aber einen Zusammenhang zwischen Zensur und der unter ihren Bedingungen entstehenden Werken, eine Art Komplizenschaft, wie Sie es selbst einmal genannt haben.

Es gab in der DDR in der Tat nicht diese Front: die Künstler auf der einen und die Kulturpolitiker auf der anderen Seite. Es gab in beiden Lagern ein breites Spektrum, es lag nur nicht offen da wie in der BRD im Parteienspektrum und in dem, was in der Presse ausgetragen wird. Es gab auch unter den Kulturpolitikern Verbündete. Spur der Steine wollte ja nicht nur der Regisseur Frank Beyer, sondern auch der damalige Kulturminister Bentzien und der damalige DEFA-Direktor und der Chefdramaturg. Die sind dann ja auch alle geschaßt worden. Zweitens: natürlich hat sich unter dem politischen Druck die Tonart geändert. Zum Beispiel habe ich '76 und '78 zwei Filme gedreht, in denen es um die Ehe geht. Der erste, Das Versteck ist eine versöhnliche Komödie und und der zweite Geschlossene Gesellschaft, ist ein Ehekrieg, der in einer nahezu unerträglichen Schärfe ausgetragen wird. Dazwischen liegt die Biermann-Ausbürgerung und ein weiterer gescheiterter Versuch von uns, die festgefahrene, dogmatische Kulturpolitik zu lockern, und damit der Verlust von Illusionen.

Die Zensur entfällt jetzt. Wie verändert das Ihre Arbeit?

Es erleichtert sie. Die Zeitungen, der Rundfunk und das Fernsehen machen ihre Arbeit, ich brauche mich in einem Spielfilm nicht auf eine Baustelle zu begeben und mich mit Ökonomie zu beschäftigen.

Kein Produktionsfilme mehr.

Nein, um Gottes Willen. Das alles entfällt, Gott sei Dank. Wir haben jetzt den Normalzustand. Marcel Reich-Ranicki hat es kürzlich auf den Punkt gebracht. Als er gefragt worden ist, was er von dem Leseland DDR hält, sagte er (hebt die Stimme und imitiert Reich-Ranicki): „Das ist Unfug. Wenn Sie aus der BRD ein Leseland machen wollen, können Sie's haben. In der nächsten Woche. Sie müssen nur eins tun: die Meinungsfreiheit liquidieren. Da man in der DDR über die dort herrschenden Verhältnisse in den Zeitungen nichts lesen konnte, haben die Leute gierig Erzählungen oder Gedichte gelesen, wo sie wenigstens zwischen den Zeilen etwas hierüber erfuhren...“

Wie das nun aber genau meine Arbeit verändert, kann ich noch nicht sagen. Ich fürchte, die Fragen werden sich viel elementarer stellen. Schon wenn ich mit einer Story komme, wird mich der DEFA- Direktor, wie er auch immer heißen mag, fragen, ob ich einen Verleih habe und wie ich das Projekt finanzieren kann. Und welche Filme die großen Verleihe in der Bundesrepublik verleihen, das wissen Sie. Dem sind wir jetzt alle ausgesetzt und deshalb grüble ich darüber nach, welche Art Film es denn sein könnte, die vielleicht doch eine Million Leute von mir sehen wollen. Denn so viele müssen es bei einem Budget von zweieinhalb Millionen sein. Ich habe natürlich Kontakte zum Fernsehen, und dieses zweite Standbein Fernsehen werde ich in jedem Fall benötigen, wie bei Der Bruch, bei Der Verdacht, Sie und Er. Aber ich will ja Kinozuschauer finden, ich bin ja Kinoregisseur.

Sollen sich die Filmemacher der ehemaligen DDR mit der DDR- Geschichte filmisch auseinandersetzen?

Diese Auseinandersetzung läuft ja auf zwei Schienen. Zum einen auf der publizistischen, da ist ja schon viel geleistet. Janka hat sein Buch über seinen Prozeß veröffentlicht. Aber ich würde ungern ein Buch wie dieses verfilmen, denn die Arbeit ist mit dem Buch selbst geleistet. Man muß dieses Thema der Täter-Opfer- Beziehung vertiefen, auf eine andere, künstlerische Ebene transferieren. Aber dazu muß einem erstmal eine Geschichte einfallen.

Es ist wie bei Jakob der Lügner. Die Geschichte beruht ja auf einem wahren Sachverhalt. In dem Ghetto, in dem Jurek Becker mit seinem Vater war, gab es tatsächlich einen Mann mit einem Radio, der die Leute unter Lebensgefahr mit Nachrichten versorgte, einer der Mut machte, ein Held: Wenn sie den erwischt hätten, wäre er umgebracht worden. Als Beckers Vater bemerkte, daß sein Sohn vielleicht ein Schriftsteller wird, hat er dem 19-, 20jährigen Jurek gesagt: Über diesen Mann mußt du mal ein Buch schreiben. Becker hatte aber das Gefühl: diese Geschichte hat man mir schon tausendmal erzählt, über den schreibe ich kein Buch. Eines Tages kam er dann auf die Idee, einen Mann zu nehmen, der kein Radio hat und die Nachrichten erfindet. Das war's. Aber so etwas kann man sich nicht vornehmen.