„Wenn die Amerikaner gehen...“

■ Druck auf kurdische Verhandlungsführer wächst/ US-Truppen wollen abziehen/ Kritik aus eigenen Reihen

Sachu (taz) — Es sollte eine Drohung sein, doch letztlich war es die blanke Verzweiflung. „Wir werden Euch notfalls die Hosen klauen, damit Ihr nicht abzieht“, sagte ein kurdischer Stammeschef halb wütend, halb hilflos zu den amerikanischen Offizieren im nordirakischen Sachu, die ihm gerade verkündet hatten, daß die US-Soldaten demnächst den Heimflug antreten würden. „Wenn die Amerikaner gehen, werden uns die Iraker auslöschen.“

Seit Tagen wehren sich die kurdischen Heimkehrer aus den Flüchtlingslagern gegen die drohende Perspektive, mit Saddam Hussein allein gelassen zu werden. Mit Demonstrationen und Blockaden in der Schutzzone fordern sie die US-Truppen zum Bleiben auf, in Städten außerhalb der Zone wurden Polizeireviere und Büros der verhaßten Baath-Partei angegriffen — es gab Tote auf beiden Seiten. Die irakischen Polizisten wie auch die Baath-Funktionäre haben aus den letzten Tagen Konsequenzen gezogen und sind vorerst aus den kurdischen Städten im Nordirak abgereist.

Es war ausgerechnet ein Amerikaner gewesen, der die Protestaktionen mitprovozierte. Colin Powell, Generalstabschef und nach Norman Schwarzkopf Vize-Golfkriegsheld der USA, hatte letzte Woche bei einem Kurzbesuch seiner Truppen im Nordirak ganz unbefangen verkündet, die US-Truppen früher aus der Sicherheitszone abzuziehen als geplant. Für die aus den Flüchtlingslagern heimgekehrten Kurden kam Powells Äußerung einer Katastrophenwarnung gleich, für die kurdischen Delegationen, die seit Wochen in Bagdad mit dem Erzfeind Saddam Hussein über eine kurdische Autonomie verhandeln war es eine Ohrfeige. Mit dem angekündigten Abzug der Amerikaner vor Augen, drohen die Kurdenführer am Verhandlungstisch eine ihrer wichtigsten Trumpfkarten zu verlieren: den internationalen Druck. Vor allem der Zeitpunkt von Powells Äußerung läßt viele Kurden zweifeln, wie sehr die USA an einem Verhandlungserfolg der Kurden in Bagdad tatsächlich interessiert sind.

Denn seit Wochen fährt der anfangs scheinbar so kompromißbereite irakische Diktator eine zunehmend härtere Verhandlungsstrategie. In Erwartung neuer Kämpfe mit der irakischen Armee wollen die Kurdenführer nun sogar ihre Kämpfer, die Peshmerga, wieder zusammenziehen. Diese Ankündigung mag zum Teil taktische Motive haben, um die Amerikaner unter Druck zu setzen. Fakt ist, daß die Gespräche in Bagdad seit Wochen, wenn überhaupt, nur stockend vorangehen, weil man sich über die Grenzen einer autonomen Region nicht einigen kann, und weil Saddam die Forderung der Kurden ablehnt, erst freie Wahlen abzuhalten und dann eine demokratisch legitimierte Verfassung zu entwerfen. In einem Telefongespräch mit der taz beteuerte Jalal Talabani, Chef der Patriotischen Union Kurdistans und neben Massoud Barzani Verhandlungsführer in Bagdad, noch einmal die Verhandlungsbereitschaft der Kurden. „Wenn Saddam Hussein keine Hindernisse mehr aufbaut, könnten wir schnell zu einer Einigung kommen.“

Der jedoch spielt auf Zeit und „er wartet“, so ein hochrangiger Angehöriger der oppositionellen irakischen Kommunisten, „auf die Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern der Verhandlungen“. Unter den kurdischen Organisationen, die sich in der „Kurdischen Front“ zusammengeschlossen haben, sind keineswegs alle Gruppen Befürworter des Verhandlungskurses von Talabani und Barsani. Exilkurden haben sich mehrfach gegen die Gespräche in Bagdad ausgesprochen, weil der Diktator damit international aufgewertet werde. Vor allem aber gibt es zum Teil harsche Kritik im Bündnis der 17 irakischen Oppositionsgruppen, dem neben islamischen und säkularen Kräften auch die Kurden angehören. Vor allem die Schiiten um den im iranischen Exil lebenden Ayatollah Mohammed Bakr al Hakim haben den Alleingang der Kurden nach Bagdad als Spaltung empfunden, und schätzen zudem die Erfolgsaussichten gleich Null ein. Bei aller Kritik hat sich die 17er Gruppe bei ihrem letzten Treffen in Damaskus Ende Mai darauf verständigt, Saddam Hussein den Gefallen der Spaltung nicht zu tun und die Kurden keinesfalls auszugrenzen. „Man darf Kritik an den Kurden üben“, erklärte ein Vertreter der Kommunisten, „aber keinesfalls den Bruch riskieren.“ Andrea Böhm/Thomas Dreger