Entweihte Gotteshäuser

In Großbritannien schreitet der Niedergang der Gotteshäuser mit großen Schritten voran. Knapp 1.300 Kirchen wurden in den letzten 20 Jahren von den Anglikanern im ganzen Land außer Dienst gestellt. Über 50 stehen allein in London leer. Stetig sinkender Gottesdienstbesuch ist der Hauptgrund. „In der Diözese Norwich gibt es beispielsweise die größte Dichte mittelalterlicher Kirchen in ganz Europa“, erzählt Ann Dickensen von der „Kirche von England“. „Die hat man damals zur Ehre Gottes gebaut oder weil man hoffte, durch Kirchenbau sicherer in den Himmel zu kommen.“ In Englands Glanzzeit während der Regierungsjahre von Queen Viktoria (1837 bis 1901) entstanden haufenweise protzige Gotteshäuser, die wegen der Unterhaltungskosten heutige Kirchenfürsten das Gruseln lehren. Viele von ihnen stehen jetzt leer.

Zahlreiche Kirchen landen auf dem Immobilienmarkt. Von Maklern und in Zeitschriften werden die Objekte angeboten. Sie werden zu Begegnungszentren, zu Galerien, Büros oder Geschäften umgebaut. Kleinere Landkirchen lassen sich hervorragend an einzelne Wohnungssucher absetzen, die größeren in den Städten sind sehr beliebt bei Bauherren von Apartments. Wenn sich gar keine Verwendung mehr findet und wenn weitere Erhaltung nicht lohnt, kommt der Bagger mit der Abrißbirne. Fast 300 Kirchen — etwa ein Viertel aller nicht mehr genutzten Gotteshäuser — sind auf diese Weise in den letzten 20 Jahren vom englischen Boden verschwunden.

Die deutschen Kirchen haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Die Besucherzahlen sinken, und allein die Heizungskosten für so einen religiösen Prunkbau sind enorm. Einige Pfarrer haben sich jetzt attraktive Werbemaßnahmen für ihre Kirchen einfallen lassen. So sind schreiende Kleinkinder im Gottesdienst seit letztem Sonntag in der evangelischen Christusgemeinde in Schweinfurt nicht mehr verpönt, sondern im Gegenteil willkommen. Pfarrer Martin Steinbach führte dort „Zappelphilipp-Gottesdienste“ ein. Die Premiere war ein voller Erfolg. Rund 100 Kinder mit ihren Eltern nahmen an dem Spektakel teil. Anders als bei den konventionellen Messen für Kinder ist keine feste Liturgie vorgegeben, und die lieben Kleinen dürfen die ganze Zeit ohne strafende Blicke der Erziehungsberechtigten kreischend um den Altar herumtollen. Ob es Pfarrer Steinbach aber gelingt, mit dieser populären Werbekampagne ein Stammpublikum für sein Gotteshaus zu sichern, bleibt abzuwarten. Karl Wegmann