■ Sonny Sharrock

Über zehn Jahre war von Sonny Sharrock fast nichts zu hören. 1986 tauchte der »Erfinder der Free-Jazz-Gitarre« plötzlich wieder mit eigener Band auf, mit der Solo-LP »Guitar« (auf der er sich dank der Studiotechnik mehrfach mit seinem Instrument duplizierte) und nebenbei auf vier LPs von Last Exit, dem Improvisationsquartett mit Peter Brötzmann, Bill Laswell und Ronald Shannon Jackson, wo er die sechs Saiten seiner Gitare attackierte. Seine schrillen Töne wurden mit »zersplitterndem Glas« verglichen. Auf der folgenden eigenen LP »Seize The Rainbow« reicht das Spektrum von Heavy Metal in »Dick Dogs« bis zu den für New Orleans typischen, synkopierten Rhythmen in »The Past Adventures Of Zydeco Honeycup«. So weit Sharrock sich auch von seinen Roots anscheinden entfernt haben mag, er kehrt regelmäßig in seinen musikalische Vergangenheit zurück.

Das begann 1957, als der Teenager Sharrock mit den Echoes sang, einer jener zahllosen Streetcomer-Gesangsgruppen in New York, deren romantische Schmachtfetzen damals en vogue waren. Drei Jahre später fing der 20jährige an, Gitarre zu spielen, wegen chronischem Asthmas gab er das Singen auf und seine Lieblingsinstrument, das Saxophon, konnte er deswegen ebenfalls nicht blasen. Als er Miles Davis' »Kind Of Blue« im Radio hörte, stand für ihn fest, daß er Musiker werden mußte. Nach einer Stippvisite am Berklee College profilierte sich Sharrock erstmals auf dem Album »Tauhid« von Pharaoh Sanders. Sharrock befreite sich aus der tarditionellen Rolle der Begleitgitarristen, die bisher trotz gelegentlicher Soli ausschließlich die Rhythmusgruppe verstärkten. Sharrock setzte — neu im Jazz — auch wiederholt ein Slide, ein Metallröhre ein, um das Klangspektrum zu erweitern. Zwei Jahre dauerte das Wechselspiel zwischen dem aufschreienden Saxophon von Sanders und der aggressiven Gitarre von Sharrock, bis dieser einer Einladung von Herbie Mann folgte, bei dem er sieben Jahre blieb. Mann wollte zu seiner Flöte »bewußt den Kontrast« von Sharrocks Verzerrungen und Splitterklängen, »Memphis Underground« und »Hold On, I'm Coming« kamen sogar in die Charts.

Während seiner Zeit mit Herbie Mann kollaborierte Sharrock auch mit Don Cherry, Wayne Shorter und Miles Davis, auf dessen »Tribute to Jack Johnson« er namentich allerdings nicht erwähnt wurde. Mit seiner Frau Linda brachte Sharrock die LP »Black Woman« heraus, aber auch wenn im »Guitar Player« diese Platte als »Stimme der Ekstase und Qual der schwarzen weiblichen Seele« bezeichnet wird, war dies nichts als Katzenjammer. Es folgte »Paradise« der Eheleute, deren irdisches Eheglück bald darauf zerbrach, und Mister Sharrock zog in seine Geburtsstadt Ossining, arbeitete mit behinderten Kindern und als Chauffeur.

Mitte der 80er Jahre holte Bassist Bill Laswell Sonny Sharrock zurück ins aktive Geschehen der lebendigen New Yorker Szene, zuerst für das Quartett Material, dann bei Last Exit. Musikalisch paßte nichts mehr in bisherige Strukturen, läßt sich allenfalls skizzieren mit dem mittlerweile üblichen bunten Gemisch aus Modebegriffen wie Punk-No-Wave-Fusion-Free-Funk-Jazz-Noise (Reihenfolge kann beliebig geändert werden). Oder wie es Mark Dery im »Guitar Player« auf den Punkt brachte: »Ornette Coleman trifft Motörhead«.

Für Juli ist »Ask The Ages« angekündigt, eine Reunion von Sharrock mit Pharaoh Sanders und Elvin Jones. Sein nächsten Projekt: eine 1954er Rhythm & Blues Revue. Ich warte gespannt. Denn zwischen seinen schwindelig-schnellen Atonalitäten bringt Sharrock seit Jahren auch immer wieder alte Blues-Titel, mit »Elmo's Blues« etwa einen Tribut an die Slidegitarren-Legende Elmore James, eben halt mit zwei Schlagzeugern und voll aufgedrehtem Verstärker zeitgeistig aufgepäppelt. Selbst Hardcore-Fans sollten sich sicherheitshalber etwas Ohrenschutz einstecken. Text + Foto: G.Hessig

Um 22 Uhr im Quasimodo