Eine Hauptstadt für den Harz

■ Der deutscher Hauptstadtstreit weitet sich aus/ Die neuen Bewerber heißen Memleben und Thale

Halle. Memleben ist ein kleines, verträumtes Nest im Süden Sachsen-Anhalts, ein paar Kilometer von Naumburg entfernt. Die Poststelle, die Kneipe „Storchennest“, eine Gemeindeschwesternstation, die seit Monaten nicht mehr besetzt ist, und ein ehemals volkseigenes Gut als ehemals größter Arbeitgeber — das ist alles. In der Dorfstraße 5 aber residiert seit einem Jahr der deutsch- schweizer Bürgermeister Uwe Hartung, nebenbei auch noch Präsident der Auslandsschweizervertretungen in Ostdeutschland. Und der ist schon lange der Meinung, daß es mit dem Memleben nicht so weitergehen muß. Den einfachsten Weg zu neuer, noch nie dagewesener Blüte seines Dorfes hat er auch schon gefunden: Memleben mischt sich in den Bonn-Berlin-Streit ein, bietet sich als dritter Bewerber für die Hauptstadt Deutschlands an und wird — Vernunft setzt sich durch — Metropole!

Uwe Hartung, eine schillernde, medienbewußte Figur, hat seinen Gemeinderat längst auf Linie gebracht und unterdessen sind die Memlebener Hauptstadtpläne auch öffentlich angemeldet worden.

Die „Schnapsidee“ ist zum Brief an Bundestagspräsidentin Süßmuth geronnen. „Unser Ort hat eine sehr bewegte, wechselvolle Geschichte“, heißt es in dem ganz arglos, „und deshalb sind wir der Meinung, daß bei der Wahl des künftigen deutschen Parlaments- und Regierungssitzes auch Orte mit historischer Bedeutung berücksichtigt werden sollten.“

Berlin? Bonn? Weimar? Nein, Memleben soll es sein. Immerhin war das verschlafene Kaff einstmals Residenz der deutschen Herrscher Heinrich eins und zwei. „Wir bitten deshalb darum, ernstgenommen und in die Wahl um den künftigen deutschen Regierungssitz einbezogen zu werden“, schreibt Uwe Hartung ultimativ. Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth will nicht umziehen und antwortet einfach nicht.

Horst Wedekind, der Kneipier der „Walpurgisgaststätte“ auf dem Thaler Hexentanzplatz hat seinen Bürgermeister Erich Schweidler zu ähnlichen Taten überredet. Wohl weil die Rita auf den Brief der Memlebener Nachbarn nicht reagierte, wandte sich Schweidler rotzig gleich ans Kanzleramt mit seiner Bitte, „unsere Variante zum Thema Hauptstadt konstruktiv zu beeinflussen“.

Und die Variante ist: Neubau einer deutschen Hauptstadt im Harz. Quedlingburg und die gesamte Region hätten, rein geschichtlich gesehen, die ungleich älteren Ansprüche im Vergleich zu Berlin oder Bonn. Man denke nur mal an den alten Rauschebart und Kaiser aller Deutschen Barbarossa, [der auf dem Kyffhäuser schlummert und bis dato alle wichtigen Termine in der deutschen Geschichte verpennt hat. d. R.].

Gastwirt Wedekind, die graue Eminenz des Unternehmens „Eine Hauptstadt für den Harz“, verläßt sich letztendlich aber lieber doch nicht so ganz auf die Zugkraft der rein historischen Argumente. Nein, die neue Hauptstadt, die im Städtedreieck Thale-Quedlinburg-Blankenburg zu errichten wäre, winkt er ungeniert mit der Wurst, biete prima Urlaubsmöglichkeiten für die Parlamentarier und ihre Familien.

Die Luft sei gut, und was die unweigerlich auftauchenden Verkehrsprobleme anbelangt, haben die Harzer Hauptstadtpatrioten auch schon eine Lösung parat. Eine Magnetbahn verbinde Quethabla (Arbeitstitel) flugs mit dem Hannoveraner Flughafen. Was, so fragt der zum Harzer konvertierte Wolfsburger Wedekind, wollen die Damen und Herren denn mehr? Steve Körner