NS-Sonderrichter wurde Justizsenator

■ Akten des Sondergerichtes Bremen 1940-45 veröffentlicht / Todesstrafe für Manteldiebstahl

Stolz nannten sie sich „Panzertruppe der Rechtspflege“, beriefen sich auf „das gesunde Rechtsempfinden des Volkes“ und waren angetreten, um auch an der „Heimatfront“ Hitlers „Endsieg“ zu garantieren — Staatsanwälte und Richter des Bremer Sondergerichtes zwischen 1940 und 1945.

Über 45 Jahre lagen Ermittlungsakten, Anklageschriften, Ladungen, Verhandlungsprotokolle, Urteile und Vollstreckungshefte unbeachtet im Staatsarchiv. Und auch für die Geschichte der damaligen NS- Staatsanwälte und Sonderrichter interessierte sich nach 1945 niemand. Völlig unbehelligt setzten sie ihre Karrieren bruchlos fort.

Zum Beispiel Erich Zander: erst Staatsanwalt, dann Richter am Bremer Sondergericht, wurde er 1955 Bremer Justizsenator und beendete seine politische Laufbahn als Vizepräsident der Bürgerschaft. Ein anderer, Berhard Hinrichs, brachte es als Oberstaatsanwalt zum Leiter der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bremen. Bei den Nürnberger Prozessen ist keiner der tätigen Nazi-Richter je zur Rechenschaft gezogen worden, nur zwei von ihnen standen überhaupt vor Gericht.

Mindestens 539 Verfahren hatte das Bremer Sondergericht durchgeführt, in 911 Fällen sprach es nationalsozialistisches „Recht“. 320 Mal wurde Zuchthaus bis 15 Jahre verhängt, 55 Mal die Todesstrafe gefordert, 45 Mal vollstreckt. 250 Akten sind jetzt erstmals unter dem Titel „Strafjustiz im totalen Krieg“ vom Bremer Justizsenator veröf

Saal 231 im Landgericht: Früher NS-Sondergericht, heute StrafkammerFoto: Jörg Oberheide

fentlicht. Ein zweiter Band mit den ca. 300 restlichen Gerichtsunterlagen soll folgen.

Einer der Verurteilten ist ein 1878 geborener Rentner, ohne Namensangabe. Die Anklage: Verstoß gegen das Rundfunkgesetz, wonach „das absichtliche Abhören ausländischer Sender verboten“ war und in „besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft“ wurde. Aktenoriginalton: „Der Angeklagte, der früher der SPD angehört hat, hat seit mindestens 1942 fast täglich den deutschsprachigen Nachrichtendienst des englischen Rundfunks abgehört. Er ist eines Verbrechens nach §1 der Rundfunk- Verordnung überführt. Nach Aussage des Zeugen W. nimmt er

gegen die nationalsozialistische Regierung eine feindliche Stellung ein. Es ist daher eine strenge Bestrafung erforderlich.“ Urteil vom 24.5.1944: Drei Jahre Zuchthaus und Ehrverlust. Das Radio wird eingezogen. Anmerkung: Der Verurteilte ist am 9.2.1945 an „allgemeiner Körperschwäche“ im Zuchthaus Hameln gestorben.

Oder der Fall eines Journalisten, 1896 geboren, mit 16 Vorstrafen. Auszug aus einem Vermerk des Staatsanwalts Dr. Zander an den Oberstaatsanwalt vom 14.1.1942: „Bei C. handelt es sich um einen ausgesprochenen Schwerverbrecher, bei dem m.E., ganz gleich was er getan hat, Todesstrafe in Erwägung zu

ziehen ist (andernfalls würden wir beim Reichsministerium der Justiz in Ungnade fallen, da andere Sondergerichte führend vorangegangen sind). Die Zeiten, wo bei der Fällung eines Todesurteils in erster Linie ethische Gesichtspunkte berücksichtigt wurden, sind im übrigen längst vergangen. Heute lautet die Frage, kann es verantwortet werden, den Staatssäckel weiterhin durch die mit der Anordnung der Sicherheitsverwahrung nun einmal verbundenen Kosten zu belasten...“

Grund der Anklage: Das Entwenden eines Mantels und eines Anzuges. Zuvor hatte C. bereits wegen Tätigkeit in der USPD 20 Jahre im Zuchthaus gesessen. Am 14.2.1942 wurde der Journalist durch Stellungnahme des Reichsgerichtes zum Tode verurteilt. Begründung: „Der Gewohnheitsverbrecher verfalle nicht nur dann dem Tod, wenn das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erheischt, sondern auch dann, wenn der Schutz der Volksgeminschaft den Tod des Verbrechers erfordert.“

Die akribisch aufgezeichneten Verfahren des Bremer Sondergerichtes wurden nicht, wie das in anderen Sondergerichten nach 1945 üblich war, vernichtet. Die Interpretation von Senatsrat Hans Wrobel, der die Unterlagen für die Veröffentlichung bearbeitet hat: „Offensichtlich fanden Richter und Staatsanwälte ihr Tun so sehr in Ordnung, daß sie keinen Anlaß sahen, ihre Unterlagen zu verbrennen.“ Birgit Ziegenhagen