Therapie ist kein Schutz vor Abschiebung

■ Praktiken, straffällig gewordene und drogensüchtige Ausländer loszuwerden/ Ungeachtet der »Sogwirkung« erfolgreicher Therapien schiebt die Innenverwaltung ab/ Nach der Meinung der Therapeuten wird kaum gefragt

Berlin. Dem seit zehn Jahren in Berlin lebenden Türken B.K. (Name ist der Redaktion bekannt) droht in Kürze, in sein ursprüngliches Heimatland, die Türkei, abgeschoben zu werden, falls der Petitionsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses nicht anderes beschließt. B.K. wurde 1989 wegen Drogenhandels und -mißbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde ihm die Abschiebung angekündigt.

Aus dem Strafvollzug heraus bewarb er sich um die Aufnahme einer Drogentherapie, die ihm auch gewährleistet wurde. Im Februar 1990 wurde er aus der Haft entlassen, um an einer Drogentherapie beim staatlich anerkannten »Verein zur Förderung der gruppenunterstützten außerstationären Suchtbehandlung« (VgS) teilzunehmen. Parallel zu B.K.'s Therapie lief das Abschiebeverfahren gegen ihn, das im März 1990 von der Senatsverwaltung für Justiz für ein Jahr ausgesetzt wurde, damit B.K. seine Therapie zu Ende bringen könnte.

Im November letzten Jahres reichte das Drogenreferat der Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie ein Schreiben an das Landeseinwohneramt ein, in dem es sich für die Aussetzung der Abschiebung und die Ausstellung einer vorerst begrenzten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für B.K. einsetzte, die nach positivem Therapieverlauf erneut verlängert werden sollten. Begründet wurde diese Empfehlung damit, daß aus den persönlichen Daten B.K.'s hervorginge, daß er nach Überwindung seiner Drogenabhängigkeit straffrei leben würde. Den gleichen Tenor hatte eine Stellungnahme des Leiters des VgS, Hartwig Marx, die ebenfalls an das Landeseinwohneramt gerichtet war. Marx bezeugte hierin, daß sich B.K. derart vom Drogenmilieu abgewendet habe, daß bei weiterer psychologischer Behandlung erneuter Drogenmißbrauch nicht zu erwarten sei. Allerdings könne er nur für einen anhaltenden Erfolg der Behandlung garantieren, wenn diese bis mindestens Ende 1991 fortgesetzt werde. Im Falle einer sofortigen Abschiebung wäre die Therapie vergeblich gewesen und die Resozialisierung nicht mehr gewährleistet.

Dessen ungeachtet wurde B.K. Ende Mai beim Sozialamt Wilmersdorf von der Ausländerpolizei verhaftet. Die geplante Abschiebung am 29. Mai konnte durch einen Antrag auf Behandlung im Petitionsausschuß verhindert werden. B.K. befindet sich vorläufig auf freiem Fuße und hat seine Therapie wieder aufgenommen. Doch sein Schicksal bleibt bis zum Entscheid des Petitionsausschusses ungewiß.

Der Fall B.K. ist kein Einzelfall. Die Berliner Ausländerpolizei ist berechtigt, straffällig gewordene ausländische Drogenabhängige abzuschieben. Ob sie sich in Haft oder Therapie befinden, ob die Therapie beendet ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Wer gerade eine Therapie macht, ist generell nicht vor dem Zugriff der Polizei geschützt. Die Innenverwaltung vergibt zwar in Einzelfällen sogenannte »Gnadenentschließungen«, damit die Betreffenden ihre Therapie zumindest zu Ende führen können. Doch ist dies nicht die Regel. Nur sehr selten werden Therapeuten gefragt, inwiefern eine Abschiebung den Patienten gefährden könnte. Es handelt sich hierbei um einen »alten Kampf« zwischen engagierten Therapievereinen und der Innenverwaltung, wie Wolfgang Wieland, ausländerpolitischer Sprecher der AL/Bündnis 90/Grüne, der taz gegenüber äußerte.

Von keinem Interesse scheinen die negativen Wirkungen zu sein, die eine abgebrochene Therapie durch Abschiebung sowohl auf den einzelnen und seine Zukunft als auch für die ausländische Drogenszene generell bedeuten können. Für den einzelnen wird der Prozeß der Resozialisierung abgebrochen. Gerade bei Ausländern, die schon seit langem in Deutschland leben — betont Therapieleiter Hartwig Marx — sei das Risiko der Rückfälligkeit ins Drogenmilieu bei einer Abschiebung in ihr Herkunftsland besonders hoch, da sie kaum noch etwas mit diesem verbindet. Das Drogenreferat forderte deshalb auch in seinem Schreiben an die Innenverwaltung, daß Ausländer, die seit vielen Jahren in Deutschland leben und hier abhängig geworden sind, die Möglichkeit erhalten sollten, ihre Abhängigkeit zu überwinden, ohne danach oder währenddessen abgeschoben zu werden.

Auch auf die ausländische Drogentherapieszene wirken sich Abschiebungen negativ aus. So beobachtete Marx, daß eine erfolgreiche Teilnahme an einer Therapie gerade bei türkischen Drogenabhängigen eine »Sogwirkung« habe. Vermehrt würden sich türkische Rauschmittelabhängige aus ihrem Drogenmilieu lösen und an Therapien teilnehmen. Die Abschiebung von straffälligen Drogenabhängigen könne nur eine abschreckende Wirkung haben.

Paradox ist, daß das Land Berlin die Behandlung von Rauschmittelabhängigen durch freie Träger finanziell unterstützt, während die Unterstützung auf ideeller Ebene ausbleibt. Denn durch eine Abschiebung entfällt sowohl der therapeutische als auch der pädagogische Erfolg. Auf diese Weise wird das Drogenproblem weder auf individueller noch auf gesellschaftlicher Ebene gelöst, wie Marx in seiner Stellungnahme betonte. Nadja Encke