: Der Papst zwischen den nationalen Fronten
Konflikt um Kirchenbesetzung in Przemysl im Handstreich gelöst — ein bitterer Beigeschmack bleibt/ Der Papst verurteilt den Nationalismus und feiert die griechisch-katholische „Märtyrerkirche“, aber die polnischen Nationalisten siegen ■ Aus Przemysl Klaus Bachmann
Der Kirchenstreit ist vorerst beendet, aber die Atmosphäre bleibt vergiftet. Das ist der Tenor nicht nur in der kleinen südostpolnischen Stadt Przemysl selbst, auch die meisten Beobachter, die mit dem Papst in die ostgalizische Stadt gefahren sind, kommen zu diesem Schluß.
Papst Johannes Paul II. Ist als Oberhaupt aller Katholiken nach Polen gekommen, aber er hat bereits mehrmals unter Beweis gestellt, daß er sich vor allem als Vertreter der polnischen römisch-katholischen Kirche sieht. Die Ukrainer und deren griechisch-katholische Kirche haben das schmerzlich zu spüren bekommen. Deutlicher hätte man den Konflikt in Przemysl kaum ausdrücken können: Während oben, vor der mächtigen, die Altstadt beherrschenden Karmeliterkirche immer noch das Protestkomitee ausharrt, das die Übergabe der Kirche an die ukrainische Minderheit um jeden Preis verhindern will, feiern unten an der Mauer einige hundert Ukrainer aus Przemysl und der sowjetischen Ukraine eine byzantinische Messe. Polen und Ukrainer werden von einem Kordon aus uniformierter Polizei und Antiterrorspezialisten auseinandergehalten.
Das Protestkomitee, zusammengesetzt aus Vertretern aller in Przemysl wichtigen politischen Organisationenl, hält nach wie vor die Kirche besetzt, trotz aller Vermittlungsversuche von Bischöfen, Präsident Walesa und dem Solidarność-Vorsitzenden Krzaklewski. „Wir ordnen uns nur dem Willen des Papstes unter“, sagt Anna Hayder, Sprecherin des Protestkomitees. Der Papst aber hat in einem Brief an den Bischof von Przemysl, Tokarczuk, bereits klargemacht, daß er sich in der Karmeliterkirche mit den Ukrainern treffen möchte. Der Provinzial des Ordens hat um des lieben Friedens Willen seine Mönche nach Warschau beordert, aber gefahren sind nur zwei. Die anderen unterstützen die Besetzung. „Die polnische Kirche geben wir nicht her“, steht auf einem Transparent. Als die Ukrainer versuchen, vor die Kirche zu ziehen, die Johannes Paul II ihnen für fünf Jahre, bis zum Bau einer eigenen, übergeben wollte, verhindern das die kirchlichen Ordner in Zivil, die ihre Sympathien für die Besetzer nicht verhehlen. Die Polizei schreitet nicht ein. Die Messe wird unten an der Mauer gefeiert, mit ukrainischen Nationalfahnen und Bischöfen aus Lwow und Ivano-Frankovsk aus der Ukraine. „Einmal wird die Sonne auch für unsere Bewegung scheinen“, predigt einer von ihnen. Einige ältere Frauen weinen.
Zu den etwa 2.000 Ukrainern aus Przemysl sind an diesem Tag mehrere tausend Glaubensbrüder aus der sowjetischen Ukraine in die Stadt gekommen. Für sie alle geht es längst um mehr als nur um die Kirche. Zur Zeit hat die ukrainische Minderheit von Przemysl keine einzige Kirche. Das Basilianerkloster, das sie zurückerhalten soll, ist zur Zeit noch ein Archiv, das geräumt werden muß, die Messen werden daher in der Garnisonskirche abgehalten — dorthin wurde nun auch das Treffen mit dem Papst verlegt.
Alle in Przemysl hoffen, daß der Papst den Konflikt vor Ort lösen wird. Schon im voraus ist klar, daß die Besetzung der Karmeliterkirche den Papst in eine Lage bringen sollte, in der er sich für die eine und gegen die andere Konfliktpartei entscheiden müßte. Genau das aber hat das Oberhaupt der ganzen katholischen Kirche immer vermeiden wollen — in seinem Brief an Bischof Tokarczuk hat er das deutlich gemacht. Die Glaubwürdigkeit der Politik des Vatikan in der Ukraine, die darauf abzielt, die jahrzehntelang unterdrückte und verfolgte griechisch-katholische Kirche in der Ukraine wieder aufzubauen, steht nun auf dem Spiel. Der Kirchenkonflikt in Przemysl wurde gerade in der Ukraine heftig diskutiert und kritisiert. Von der anderen Seite steht der Papst unter heftigem Druck der polnischen Kirche. Der Streit um eine Kirche hat sich längst zum Nationalitätenkonflikt ausgeweitet.
Als Johannes Paul II gegen 18 Uhr in der Herz-Jesu-Garnisonskirche eintrifft, wird er mit mäßigem Beifall empfangen. Er hält eine lange Ansprache über die Verfolgung der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine, als er sich mit einigen Sätzen auf ukrainisch an die Gläubigen wendet, brandet erneut Beifall auf. Die Kirche ist vollkommen überfüllt, nur mit Mühe halten Ordner und Sicherheitsbeamte ein Minimum an Ordnung aufrecht. Johannes Paul II. dankt den griechisch-unierten der Ukraine, daß sie trotz der Verfolgung Rom die Treue gehalten haben, er nennt sie Märtyrer und Helden und es wird deutlich, daß sein Auftritt in Przemysl zu einem großen Teil an die ukrainischen Katholiken jenseits der Grenze gerichtet ist: „Das nächste Mal in Kiev werde ich mehr Ukrainisch sprechen“, verspricht er unter dem Beifall der Gläubigen. Und dann kommt, überraschend für fast alle Anwesenden und in keinem Manuskript vorgesehen, jener Teil, der die Lösung des Kirchenkonflikts bringen soll: Bischof Ignacy Tokarczuk, eine Stunde zuvor vom Papst erst zum Erzbischof ernannt, habe ihm die Herz-Jesu- Garnisonskirche von Przemysl geschenkt. Johannes Paul II. dankt dem Erzbischof und übergibt zugleich die Kirche „Euch, Brüder und Schwestern des griechisch-katholischen Ritus, als Ersatz für jene Kirche, die hätte gebaut werden sollen. Diese Kirche erhebe ich heute zugleich zur Kathedrale der Diözese und des Bischofs eures Ritus.“ Donnernder Beifall dankt es ihm. Später erst wird sich herausstellen, daß die meisten Ukrainer geglaubt haben, sie erhielten die besetzte Kirche. Erst lange danach kommt das böse Erwachen.
Hundert Meter weiter, oben in der Karmeliterkirche löst sich das Protestkomitee fast blitzartig auf, die Kirchentüren öffnen sich und sofort organisieren die Karmelitermönche einen Dankgottesdienst. Es ist ihr Sieg, die Kirche bleibt römisch-katholisch und polnisch, auch wenn Bischof Tokarczuk, gegen den sich der Protest indirekt richtete, nun gestärkt aus dem Konflikt hervorgeht, auch wenn die Ukrainer nun eine eigene Kirche haben. Einer der Mönche, der die Predigt vor der ebenfalls mehr als vollen Kirche hält, macht gar nicht erst den Versuch, seine Genugtuung zu verbergen. „Das ist zwar kein Sieg, aber die Frucht unserer Gebete“, verkündet er. „Gott hat unsere Gebete erhört, und wir waren sein Werkzeug.“
Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Wlodzimierz Mokry ist, wie er sagt, „mehr als zufrieden“. Eine ideale Lösung sei das, jetzt habe man eine eigene Kirche, müsse nicht bauen, der Konflikt sei in christlichem Geist gelöst worden. Ein Bischof aus der Ukraine drückt sich vorsichtiger aus, einzelne Gläubige sind dagegen ausgesprochen enttäuscht. Die Karmeliterkirche, die ihnen 1784 von Kaiser Joseph II. übergeben worden und aus der 1946 ihr letzter Bischof vom Geheimdienst in die Sowjetunion deportiert worden war, hatten sie als die ihre angesehen. Mit der Garnisonskirche verbinden dagegen viele die polnische Armee, und das heißt für sie jene, die sie 1947 gewaltsam aus Galizien in die ehemals deutschen Ostgebiete vertrieben hat. Vor dem Krieg gab es in Przemysl 160 unierte Kirchen. Heute lebt der ukrainische Bischof, der ursprünglich in das Karmeliterkloster einziehen sollte, zur Untermiete in einem Zimmerchen bei einem seiner Priester. Bisher hatten die Ukrainer in der Stadt keine einzige eigene Kirche. Daß sie die Garnisonskirche lange behalten werden, glauben sie indessen selbst nicht. Als einer der Vorstandsmitglieder des Bundes kurz nach der Papstentscheidung an der Garnisonskirche vorbeiging, stand dort eine Gruppe junger Polen. „Wir werden's schon schaffen, daß die Ukrainer die Kirche wieder auskotzen“, sagte einer von ihnen.
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