Jugoslawien ringt um Zukunft

Kompromißvorschlag Bosniens und Mazedoniens heizt Debatte wieder an  ■ Aus Belgrad Erich Rathfelder

Als sich gestern die Präsidenten der jugoslawischen Republiken zum x-ten mal trafen, war es schon eine Überraschung, daß das Treffen überhaupt zustande kam. Der Vorschlag Bosniens und Mazedoniens, allen Republiken Souveränität zu geben und trotzdem eine Bundesregierung mit klar umrissenen Zuständigkeiten für die Finanz- Wirtschafts- und Außenpolitik zu schaffen, hat die politische Debatte wieder angeheizt.

Seit dem Besuch der EG-Delegation unter Jaques Delors vorige Woche in Belgrad und dem Treffen der EG-Außenminister am letzten Montag in Dresden ist der Druck auf alle jugoslawischen Verantwortlichen gewachsen, sich wieder um die Weichenstellungen für Konfliktlösungen zu bemühen. Die Forderung der Westeuropäer, die äußeren und inneren jugoslawischen Grenzen unangetastet zu lassen, hat selbst in Serbien Eindruck gemacht, auch wenn Milosevic in einer Rede am Mittwoch sich gegen alle Einmischungen verwahrte. Und auch der Druck im Inneren wächst: die Ökonomie sieht sich einer rasanten Talfahrt gegenüber, die Touristen sind bisher ausgeblieben, in vielen Betrieben und Behörden werden die Gehälter nicht mehr ausbezahlt. Streiks und ziviler Ungehorsam häufen sich. In Bosnien streikten ab Montag täglich zwischen 150.000 bis 300.000 ArbeiterInnen, in Nis wurde vorgestern von einigen hundert Protestierenden für einige Stunden die Autobahn blockiert. Unabhängige Betriebsgewerkschaften schießen aus dem Boden, die offiziellen Gewerkschaften verlieren rasant an Mitgliedern, schon wird auf Branchenebene und regional an der Gründung unabhängiger Gewerkschaften gebastelt. Die nationalistisch und populistisch ausgerichtete Serbische Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovich hat für den Sonntag neue Demonstrationen angekündigt, deren Forderungen sich auch auf die sozialen Probleme beziehen: Mindestlöhne, Kürzung der Gehälter der Nomenklatura. Auch wenn das Motivbündel der ArbeiterInnen auf der Hand zu liegen scheint, ihre Forderungen sind schwer zu erfüllen. Denn niemand weiß mehr so richtig, wer eigentlich der Adressat sein soll.

Sind es die Fabriken, dann wissen die Beschäftigten am besten, wie es eigentlich um sie steht. Sind es die Republikregierungen, dann gähnen auch hier die leeren Kassen. Selbst in den sogenannten Reformrepubliken Kroatien und Slowenien ist den Verantwortlichen nur die Verstaatlichung weiterer Unternehmen eingefallen. Allein die Bundesregierung hat mit ihrem 11+-3-Vorschlag versucht, wenigstens für eine Übergangszeit einen Kompromiß zu finden, damit der Geschäftsgang aufrecht erhalten werden kann. Die Regierung Markovic, die eigentlich nur noch direkte Macht über die Zentralbank und somit über Außenhandel und Devisen ausüben kann, versucht seit Wochen, mit den Regierungen der Republiken Kompromisse bei der Zahlung der Steuern, Zölle etc. zu finden, die von den Republiken nicht mehr an die Zentrale abgeführt werden. Seit erstem Juni sollten alle seit Ausbruch der nationalistischen Konflikte geschaffenen internen Handelshemmnisse beseitigt werden. Gestern wurden fünf Verordnungen in Serbien zurückgenommen, die sich auf die Erschwerung des Handels in Slowenien beziehen. Der Wink der Westeuropäer und des IWF, nur einen internen Markt in Jugoslawien zu akzeptieren, ist bei den Republiken erstaunlicherweise verstanden worden.