piwik no script img

GEN NORDEN – GEN WESTENFluchtweg nach Athen

Christos ist Albaner griechischer Abstammung. Nur die Adresse eines Onkels hat er in der Tasche, als er mit Freunden Richtung Griechenland aufbricht. Elf Tage dauert der Weg, der durch das Lager einer albanischen Zivilgarde, zu Fuß über die Grenze, aus dem Gewahrsam griechischer Polizisten schließlich nach Athen führt, wo Christos illegal als Maurer arbeitet  ■ VON NIKOS MARAKIS

Die Maurer arbeiten hart, auch zu Ostern. Für sie ist Ostern kein Fest. Die meisten der Männer auf dem Baugerüst sind Flüchtlinge aus der albanischen Provinz, wo die Mehrheit der Bevölkerung griechischer Abstammung ist. Christos P. ist einer von ihnen. Er spricht nur schlecht Griechisch und ungern über sich selbst. Seine Familie, Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern, sind in dem kleinen Dorf in der Nähe von Gjirokaster zurückgeblieben. Aus Angst um sie will er anonym bleiben.

„Ich bin am 18. Februar in Athen angekommen, in einem Lastwagen. Mit drei Freunden aus meinem Dorf war ich unterwegs. In der Tasche hatte ich die Adresse meines Onkels, der seit drei Jahren in Griechenland, in Halandri, lebt. Aber natürlich kannten wir uns nicht aus. Der Fahrer des Lastwagens hat uns in einem gottverlassenen Teil der Stadt abgesetzt. Es war schon dunkel, und niemand war da, der uns den Weg hätte sagen können. In der Nähe einer Garage haben wir dann ein Autowrack entdeckt und dort die Nacht verbracht. Am nächsten Morgen haben uns die Arbeiter von der Garage ein Taxi gerufen. Wir hatten keine Drachme in der Tasche, aber der Chauffeur hatte Mitleid und hat uns bei unserem Onkel abgesetzt, obwohl ich ihm sagte, daß wir nur zahlen können, wenn wir den Onkel auch wirklich finden. Aber wir hatten Glück.

Ich hatte schon lange vorgehabt, Albanien zu verlassen, und immer wieder mit meinen Geschwistern und Eltern darüber gesprochen. Schließlich hat mein Vater zugestimmt, daß mein älterer Bruder Lannis gehen darf. Ich sollte bleiben. Jeden Tag hat Lannis versucht, zur griechischen Botschaft nach Tirana zu fahren, um ein Visum zu besorgen. Entweder hat ihn niemand in die Stadt mitgenommen, oder es waren so viele Menschen dort, daß er nicht drangekommen ist. Damals hat man im Dorf gesehen, daß viele illegal nach Griechenland gehen.

Ich erinnere mich, daß eines Abends eine Gruppe von Albanern in unser Dorf gekommen ist. Einige Polizisten waren dabei, von der Präfektur in Gjirokaster. Sie sind schreiend durch das Dorf gezogen und haben Drohungen gegen die Frauen ausgestoßen: ,Eure Männer sind Verräter, wenn sie abhauen, werden wir uns mit euch beschäftigen.' Es war nicht ganz ernst zu nehmen, aber ich hatte doch Angst. Außerdem wurde mir klar, daß wirklich Leute das Dorf verlassen. Mit drei Freunden habe ich beschlossen, heimlich über die Grenze zu gehen.

Sobald wir den Entschluß gefaßt hatten, war es nur eine Frage von Stunden, bis wir loszogen. Ich habe meinem Vater nichts gesagt, nur meiner Schwester, die sollte ihm dann alles erzählen, sobald ich weg war. Wir sind zu Fuß über die Grenze gegangen, weit weg von den Straßen und Dörfern. Einmal haben wir uns verirrt. Plötzlich waren wir mitten in einem Lager der Zivilgarde. Gott sei Dank war es nicht besetzt, und es ist nichts passiert. Kurz darauf begegneten wir einer griechischen Patrouille. Die Polizisten haben uns mitgenommen in ihre Zeltlager. Wir waren nicht die einzigen, die sie aufgestöbert hatten. Wir zeigten ihnen unsere Papiere. Dann haben sie uns gesagt, daß die griechische Regierung uns zurückschicken will, nach Albanien. Ich bin fast durchgedreht. Uns war klar, daß wir wieder fliehen mußten, koste es, was es wolle.

Sobald es dunkel war, sind wir abgehauen und abseits der Straßen bis Kalpaki gekommen, hungrig und ohne Geld. Da haben wir gestohlen, zum ersten Mal. Wer behauptet, er hätte in Albanien nie gestohlen, ist sowieso ein Lügner. Im Grunde waren wir stolz, denn die Armut bringt einen manchmal dazu, Dinge zu tun, die man sonst nie machen würde. Außerdem war es nicht viel, gerade genug, um den Hunger zu stillen. In Ioannina mußten wir wieder zu Geld kommen, um den Lastwagenfahrer zu bezahlen, der uns dann bis Athen mitgenommen hat.

In Athen sind mir zuerst die Mädchen aufgefallen. Sie sind ganz anders hier in Griechenland. Als ich zum ersten Mal spazierenging, wußte ich nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Dann war ich so beeindruckt von den Boutiquen und großen Geschäften. Ich begriff zum ersten Mal, wie arm ich wirklich bin. Mein Onkel ist auch arm. Er lebt mit seiner sechsköpfigen Familie in drei Zimmern. Für den Moment habe ich dort gerade noch Platz, bis ich etwas anderes finde. Meine Freunde haben schon eine eigene Wohnung. Ich arbeite bei meinem Onkel als Maurer für 2.500 Drachmen (27 DM) am Tag. Ein Maurer verdient in Griechenland nicht viel. Aber was soll's. Ich habe noch nie auf dem Bau gearbeitet, habe keine Aufenthaltsbewilligung, keine Arbeitsbewilligung. Die griechische Regierung hat keine Ahnung, daß es mich gibt. Ich bin im Untergrund, und doch – es ist kein Vergleich mit Albanien.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen