GEN NORDEN – GEN WESTEN
: Frauenemigration: kaum ernstgenommen

Für Politik und Sozialforschung wandern meist nur die Männer. Dabei werden nicht wenige Migrationsbewegungen sogar von Frauen angeführt.  ■ Von Mirjana
Morocvasic

In politischen Überlegungen und in der Forschung wird die Beteiligung von Frauen an Migrationsbewegungen häufig vernachlässigt. Dabei hatte schon Ravenstein, der Pionier in der systematischen Beobachtung der Migration, in seinen berühmten „Gesetzen“ (1885 und 1889) die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Er schreibt, daß sie bei geringeren Entfernungen migrationsfreudiger sind als Männer. Kann man Ravenstein auch heute noch zustimmen?

Tatsächlich sind die Frauen in vielen Fällen von innereuropäischer Migration mit kurzen Entfernungen in der Überzahl (zum Beispiel in Frankreich). In Lateinamerika sind sie in der Bewegung vom Land zur Stadt dominierend (nach Bogota und Santiago, in Mexiko und Haiti). Es sind sehr junge Mädchen und Frauen, im allgemeinen unter zwanzig Jahren. In Afrika dagegen werden die Ströme, trotz bestimmter Fälle von autonomer weiblicher Migration, von Männern dominiert.

Noch ausgeprägter ist die Ungleichheit in Asien: in Südkorea und auf den Philippinen bilden die Frauen die Mehrheit, in Thailand und Indonesien gibt es ebensoviel Männer wie Frauen, während in Indien, Japan und Malaysia die Männer weitaus zahlreicher sind. Auch in den internationalen Migrationsbewegungen ist das Bild sehr unterschiedlich. In den meisten afrikanischen Ländern war die nachkoloniale Zeit durch wirtschaftliche Desaster, Kriege, Hungersnöte und einen ungewöhnlichen Bevölkerungszuwachs gekennzeichnet.

Diese Situation ist die Ursache für die Abwanderung der Bevölkerung von einem Land ins andere und macht aus dem afrikanischen Kontinent zu einem der Hauptreservoire künftiger Migrationen.

Auf globaler Ebene machen sich Männer häufiger auf den Weg als Frauen. Im südlichen Afrika, wo die Immigranten aus Lesotho, Botswana und Swasiland die Mehrheit der Arbeiter in den Goldminen bilden, beträgt der Anteil der Frauen nur ein Fünftel. Nachdem ein Gesetz von 1963 es den Frauen und Kindern verbot, den Ehemännern zu folgen, sank der Anteil auf zwei Prozent. Bei den Immigranten in Europa haben eine leichte Mehrheit, aber in bestimmten Ländern (Schweden, Schweiz) gibt es schon seit langem ebensoviele Frauen wie Männer unter dem Immigranten. In Frankreich und Deutschland, wo die Migration oft als rein männliches Phänomen angesehen wurde, kann man bei den Immigranten einen steigenden Anteil an Frauen feststellen – in Frankreich von 38% in den sechziger Jahren auf 42% in den achtziger Jahren, in Deutschland noch deutlicher von 31% auf 49% im selben Zeitraum. Bestimmte Migrationsbewegungen werden eindeutig von Frauen dominiert: in Italien beispielsweise sind von Gesamtheit der Immigranten von den Philippinen und den Capverdischen Inseln 70, beziehungsweise 90% Frauen, und sie haben den Migrationsprozeß begonnen.

Betrachten wir nun einige aufschlußreiche Migrationsbewegungen auf internationaler Ebene, durch die Millionen von Menschen den Ort gewechselt haben: bei der Migration in die Golfstaaten sind die Männer in der Mehrzahl. Bei der Migration in die Vereinigten Staaten dagegen gibt es von 1930 bis heute eine Mehrheit von Frauen. So auch bei den Aussiedlern, den Migranten deutscher Herkunft aus den ehemals kommunistischen Ländern des Ostens zwischen 1945 und 1990 (besonders aus Polen, der UdSSR und Rumänien). Warum reisen sie aus? Die Frage nach den spezifischen Gründen für die Emigration von Frauen führt oft zu einer vereinfachenden Überlegung: entweder sie reisen in „Familien“ aus, dann braucht man nicht weiter nachzufragen, oder sie reisen aus ökonomischen Gründen aus, dann sind die Ursachen für ihren Aufbruch dieselben wie für Männer. Die treibende Kraft bei der Migration von Familien sind sicher meistens die Frauen. Im übrigen kann auch die Gesetzgebung, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten während der zwanziger Jahre, die Einreise von Ehefrauen (und nicht Ehemännern) unmittelbar begünstigen. In den meisten Fällen jedoch versuchen die Staaten die Ansiedlung von Arbeitern zu verhindern und schränken den Zuzug der Familien ein (Südafrika, die Golfstaaten). Aber die Familenstrategie kann eine ökonomische Strategie des Paares selber sein: zwei verdienen mehr als einer, und sie können den Migrationsplan leichter verwirklichen – wie im Fall der Migranten aus Jugoslawien, Griechenland, Portugal etc. in Europa. Außerdem kann man Frauen, die als Familienangehörige eingereist waren, erst später eine Arbeitserlaubnis erteilen. Bis dahin bleiben sie bleiben sie für Tätigkeiten im informellen Sektor verfügbar. Die Beteiligung von Frauen an Migrationsbewegungen ist abhängig von der wirtschaftlichen Lage in den Herkunftsregionen und den gesellschaftlichen Zwängen im Hinblick auf die räumliche Mobilität von Frauen. Diese ökonomischen und sozialen Zwänge wirken sich in ein und demselben Kontext unterschiedlich auf Männer und Frauen aus. In den Ausreisegebieten der Länder in der Dritten Welt, in denen die technologische Entwicklung die Frauen aus der Landwirtschaft vertrieben hat, werden die Frauen durch Armut und Bevölkerungswachstum zum Abwandern in die Städte gezwungen. Diese Form von Migration ist durchaus keine rein individuelle Entscheidung, sondern Teil einer Familienstrategie: junge Mädchen und Frauen gelten als loyal gegenüber der Gruppe, aus der sie stammen, und als zuverlässig im Transfer von Ersparnissen. Der Aufbruch in die Stadt ist vielleicht nur eine Etappe im Migrationsweg der Frauen, der über die Grenzen hinaus fortgesetzt werden kann. Denn günstige Aufnahmebedingungen gibt es für sie nicht nur in den nahen städtischen Zentren (Beschäftigung im informellen Sektor, in der Prostitution, in der elektronischen Industrie, in der Textil- und Konfektionsindustrie und vor allem in der Hausarbeit), sondern auch in den Metropolen der Industrieländer. Die eher städtische als ländliche Herkunft der Frauen in der internationalen und interkontinentalen Migration läßt darauf schließen, daß den Migrationen über weite Entfernungen interne Migrationen vorhergehen. Von Einschränkungen der Mobilität sind vor allem Frauen betroffen. In Gesellschaften, in denen freie Bewegung und räumliche Mobilität der Frauen eingeengt sind, trifft man bei allgemein starker männlicher Dominanz nur auf Frauen, die in gewisser Weise die gesellschaftliche Norm überschreiten oder ihr gegenüber marginalisiert sind: verstoßene Frauen oder Witwen. Sie sind praktisch zum Weggehen gezwungen, und in der Stadt ist für sie die Prostitution oft die einzige Verdienstmöglichkeit. In Gesellschaften dagegen, in denen die Mobilität der Frauen nicht eingeschränkt wird, ist ihre Emigration, besonders wenn sie allein ausreisen, sicher eine Reaktion auf ökonomische Bedingungen am Herkunftsort und Faktoren der Nachfrage im Einreiseland. Die Emigration kann aber auch die Weigerung ausdrücken, Diskriminierung und Unterdrückung im Heimatland hinzunehmen, sei es in der Familie oder auf gesellschaftlicher Ebene. Wo arbeiten sie? „Eine etwas sinnlose Frage, und dann noch ohne Antwort! Es könnte sich auch auf die „conditions de discrimination..“ beziehen und dann hieße die Frage: Wo wirken sie sich aus, oder so ähnlich, aber sinnvoll ist esauch fann nicht.“

Mirjana Morocvasic ist Jugoslawin und arbeitet seit 1979 am Pariser Centre National de la Recherche Scientifique; derzeit ist sie Gastdozentin an der FU Berlin.