Olympische Segel vor Rügen

Eine Chance für Stralsund und die größte deutsche Insel  ■ Aus Stralsund Klaus Nüsser

Vor elf Wochen begann man in der Hafenstadt am Strelasund mit der Verwirklichung einer kühnen Idee. In der bisher unterentwickelten Region Vorpommern, die sich im wirtschaftlichen und strukturellen Umbruch befindet, sollen die olympischen Segelwettbewerbe stattfinden, wenn Berlin im Jahr 2000 das größte Fest des Sports ausrichtet.

Zehn Wochen später liegt eine sorgfältig ausgearbeitete Machbarkeitsstudie vor. Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, war beeindruckt, als er sie kennenlernte. Stralsund-Rügen bietet ein Konzept an, das gute Aussichten hat, umgesetzt zu werden. Was sind die Gründe dafür?

Beginnen wir mit den sportlichen Voraussetzungen. Dieter Below, Olympiadritter 1976 in der Solingklasse, der alle Segelreviere der Welt als Aktiver und Trainer kennt — auch die der anderen Mitbewerber —, meint: „Es wird ein völlig neues Segelrevier angeboten, das im Ostseeraum konkurrenzlos sein dürfte. Wir wählten dazu ein Gebiet vor der Nordwestküste Rügens aus. Das Revier garantiert optimale Wasser- und Windverhältnisse und — das ist der größte Vorteil gegenüber den Konkurrenten — es wird in keiner Weise durch die Berufsschiffahrt gestört.“

Bisher konnte diese Stelle nicht für den Sport genutzt werden, weil es aus politischen Gründen (Grenzgewässer) nicht zur Verfügung stand. Auf der Halbinsel Bug, unweit von Dranske in unmittelbarer Nähe der Regattastrecke, wird das Segelzentrum entstehen. Außerdem wird ein bereits vorhandener, jetzt aber schon aufgegebener Marinehafen genutzt. Er wird saniert und soll dann in seiner Umgebung das Olympische Dorf der Segler und weitere Basiseinrichtungen aufnehmen.

All dies soll in Einklang mit der Natur geschehen. Dazu noch einmal Dieter Below, in der Projektgruppe verantwortlich für den sportlichen Teil und damit ein ganz wichtiger Berater: „Wir haben unser Vorhaben auch Umweltgruppen vorgestellt, uns ausgetauscht und werden das auch fortsetzen. Wir wollen die notwendigen Eingriffe in die Landschaft so gestalten, daß ökologisch alles in Ordnung geht. Wir Segler sind ja naturverbunden und wollen die schöne Landschaft erhalten.“ Auch das ein Vorzug der Stralsunder Studie.

Deshalb sollen die Zuschauer möglichst auf dem Wasserweg von der Hafenstadt ins Segelrevier gebracht werden. Das beeinträchtigt die Natur am wenigsten. Stralsund wird sowieso der Sitz wichtiger olympischer Einrichtungen sein — zum Beispiel des Medienzentrums, das im Hafenbereich entstehen soll.

In der 1234 gegründeten Stadt mit dem wertvollen historischen Stadtkern, der in die Unesco-Liste der internationalen Flächenbaudenkmale aufgenommen ist, wird der Aufbau der olympischen Einrichtungen einen kräftigen wirtschaflichen Aufschwung bringen.

Das gleiche gilt für die mit 926 Quadratkilometern größte deutsche Insel. Hier, wo der Tourismus die Haupteinnahmequelle ist, würde die Vorbereitung und Durchführung der Wettbewerbe in den zehn olympischen Bootsklassen ebenfalls großen Nutzen bringen.

Deshalb erscheint es so wichtig, daß die Anlagen für Olympia alle derart angelegt sind, daß sie auch nach der Verteilung der Medaillen noch in Funktion bleiben. Es werden also keine „Superbauten“ errichtet, sondern sinnvolle Einrichtungen geschaffen, die der Insel wertvolle Impulse bis weit nach dem Jahr 2000 geben werden.

Es entsteht so ein noch besser ausgerüstetes Erholungsgebiet, das auch von Berlin günstig zu erreichen ist. Aus all den Gründen ist es zu wünschen, daß die kühne Idee verwirklicht wird. Sie brächte den 75.000 Stralsundern und den derzeit 86.000 Insulanern neben den unvermeidlichen Belastungen auch dauerhafte Vorteile, der Segelfamilie aus aller Welt ein neues hochwertiges Segelrevier, welches neben den Assen dann auch den Freizeitsportlern zur Verfügung steht.

Für sie allein würden die Mittel fehlen. Aber durch Olympia würde einiges wieder hereinkommen, so daß die Ausgaben in einem günstigen Verhältnis zum Ergebnis stehen würden. Und die neuen Verkehrsanbindungen sowie weitere Maßnahmen müßten in der Region sowieso erfolgen, wenn der Aufschwung kommen soll. Mit den olympischen Segelwettbewerben würde alles nur schneller gehen.