Handgefertigt: Elektronik für Behinderte

■ Ingenieur-Kollektiv in Bremen entwickelt Tastaturen und Anzeigetafeln jeder Größe

Im Verkaufsraum der Bremer „Ingenieurgemeinschaft für Elektronik“ probiert der achtjährige Stefan gerade zwei überdimensionale Drucktasten aus. Jede von ihnen mißt fünfeinhalb mal sieben Zentimeter — ware Giganten im Vergleich zu normalen Schreibmaschinen-Tasten. Trotz seiner Behinderung — er hat Hydrozephalus (Wasserkopf) und leichte Spastik, weshalb sich seine Hände immer wieder zu Fäusten zusammenkrampfen — kann Stefan die Tasten bedienen. Wegen ihrer Größe.

So kann er Geräte bedienen, die für ihn äußerst wichtig sind: Lese- und Schreibhilfen oder auch Computer, die ihm bei der Verständigung mit FreundInnen und LehrerInnen helfen.

All diese Geräte entwickeln die vier Techniker der Ingenieurgemeinschaft am Hastedter Osterdeich 222 selbst. Auch die Produktion läuft in Eigenregie: Hinter dem Verkaufsraum liegt die Werkstatt, wo Lötkolben und Mikroprozessoren dominieren.

Holger Neumann, einer der Ingenieure, bemüht sich, im Beratungsgespräch mit Stefans Mutter und seiner Therapeutin herauszufinden, welche Geräte für Stefan die richtigen sind. Sollen sie primär dazu dienen, daß Stefan die Buchstaben und langfristig Lesen lernt? Oder soll das Konzentrations- und Gedächtnistraining im Vordergrund stehen? Mit der Zeit stellt sich heraus, daß eine Kommunikationshilfe der beste Ansatzpunkt ist. Stefan kann zwar sprechen, hat aber Probleme, sich mit in seiner Schulklasse an einer Integrationsschule in Bremen- Nord beim Unterricht einzuklinken.

So kommen die Ingenieure, Mutter und Therapeutin darauf, die Tasten mit einer Anzeigetafel zu kombinieren. Dort erscheint dann zum Beispiel auf Tastendruck ein „L“, womit Stefan im Unterricht anzeigen soll, daß er jetzt die Lehrerin sprechen möchte. Gleichzeitg kann er sich so mit dem Alphabet vertraut machen. Später könnte die Tastatur mit mehr Tasten versehen und an einen Computer angekoppelt werden.

Zum Selbstverständnis der Ingenieure vom Deich gehört es, daß sie erstmal die Behinderungen, Möglichkeiten und Bedürfnisse ihrer KundInnen genau unter die Lupe nehmen, bevor sie einen technischen Vorschlag machen. Technik und Computer den Behinderten überstülpen — das wollen sie nicht. „Es kommt auch schon mal vor, daß wir davon abraten, ein Gerät zu kaufen“, meint Holger Neumann. Und weiter: „Wir wollen einen Mittelweg zwischen Technik-Feindschaft und Technik-Fetischismus gehen.“

Am Anfang — der Betrieb wurde 1985 gegründet — entwickelte das Kollektiv behindertengerechte Schreibmaschinen-Tastaturen und Abdeckplatten, die auf normale Tastaturen aufgesetzt werden. Der Zweck: Die Abdeckplatten mit Löchern lassen bestimmte Buchstaben frei, damit Menschen mit motorischen Störungen, die sonst gleich mehrere Buchstaben gleichzeitig treffen würden, durch ein Loch zum Beispiel zielgerichtet ins „A“ stechen können.

Hinter den Apparaten, die das Kollektiv im Angebot hat, stehen die Bedürfnisse einzelner Behinderter, für die die Grundform des Gerätes einmal entwickelt wurde. Da ist zum Beispiel die Großfeld- Tastatur, anzuschließen an jeden normalen Computer. Sie ist doppelt so breit wie normale Tastaturen, damit Behinderte mit Koordinations-Schwierigkeiten die großen Tasten treffen können. Oder im Gegensatz dazu die Mini- Tastatur, bei der das halbkreisförmige Tastenfeld auf ganze zwölf Zentimeter eingeschrumpft wurde. Menschen, die an Muskelschwund leiden und ihre Hände kaum noch bewegen können, berühren die Buchstaben mit einem kleinen Spezialstab.

Auch im Angebot: Die Bliss- Zeigehilfe. Hinter einer Anzeigetafel, die die Zeichen der Symbolsprache Bliss zeigt, wandert ein Lichtpunkt hin und her, der mit Tastendruck zum Stillstand gebracht werden kann.

Der Bremer Betrieb ist in der Bundesrepublik einzigartig, weil nur hier die Ingenieure die Geräte selbst entwickeln, zusammenlöten, schrauben, stecken und bei Bedarf auch individuelle Änderungen vornehmen. Das kostet Zeit und Geld. Jürgen Rühmann: „Für eine Großfeldtastatur beispielsweise braucht einer von uns vier Tage reine Arbeitszeit.“ Kostenpunkt: 3.400 Mark.

Hannes Koch