Neu im Cinema: Ettore Scola's "Die Schmutzigen..."

... die Häßlichen und die Gemeinen": ein scheußlicher Titel! Aber selten ist ein Film treffender benannt worden: Ettore Scolas Frühwerk aus dem Jahre 75 strotzt vor Bosheit, Elend und schwarzem Humor. Seine Komik macht die Geschichte einer Großfamilie, die in einer winzigen Blechbaracke im Slum am Rande Roms lebt, erst erträglich. Denn Scola verzichtet auf die Sozialromantik, mit der uns das Kino die Armen und Erniedrigten ans Herz zu bringen versuchte (auch von den italienischen Neorealisten, deren Tradition Scola hier zugleich weiterführt und angreift). Im Clan des despotischen Giacinto findet sich keine auch nur halbwegs sympathische Figur; alle sind niederträchtig, schamlos und unansehnlich. Und der geheiligten Solidarität unter den Armen oder gar in der Familie wird schon in der ersten Einstellung der Garaus gemacht.

Nach einem Schwenk im nächtlichen Inneren der engen Blechbaracke, in der dichtgedrängt die riesige Familie schläft, folgt die Kamera dem heimlichen Tasten eines Diebes, das von der Schrottflinte Giacintos unterbrochen wird.

Der Patriarch hat bei einem Arbeitsunfall ein Auge verloren, und die Million Lire, die er als Abfindung bekam, versteckt er vor der Familie. Seine korpulente Frau Donna, die zahnlose Großmutter im selbstgebastelten Rollstuhl, der Sohn, der als Transvestit sein Geld verdient sowie all seine Brüder mit eingedrückten Nasen oder fehlenden Gliedern würden es ihm sofort klauen, wenn nur die Flinte nicht wäre. Nachdem Giacinto beginnt, sein Geld für eine Prostituierte auszugeben, die er auch gleich im Ehebett neben seiner Frau einquartieren will, eskaliert der Familienkrieg. Macaronis werden vergiftet, die Baracke in Brand gesetzt, und dem Zuschauer wird dabei kein infames Detail erspart.

Zuerst kommt einem Nino Manfredi in der Rolle des Giacinto wie eine italienische Hardcoreausgabe von unserem Ekel Alfred Tetzlaff vor, aber Scola geht weiter: Bei ihm erlöst und tröstet das Lachen nicht wirklich. Man kann sich hier nicht auf einem bequemen „Ist ja alles nur Spaß“ zurücklehnen. Trotz aller grotesken Übertreibung wirken die Figuren doch so real und lebendig, daß dem Zuschauer immer wieder das Grausen kommt. Scola selber versteht den Film „weniger als Komödie denn als satirische Tragödie“. Wilfried Hippen

Cinema 20.45 Uhr