Zwingende Chamälionhäuser

■ Der High-Tech-Architekt Richard Rogers in der Galerie Aedes

Auf den ersten Blick scheint es, daß der englische Architekt Richard Rogers auf der Suche nach einem immer perfekteren Haus ist. Einen zweiten Blick wagte auf der Suche nach dem zukünftigen Gesicht unserer aller Hauptstadt rola.

Mit modernsten Baumaterialien und neuesten Techniken recken sich seine High- Tech-Architekturen in den futuristischen [sic!korr.] Himmel. Das »Lloyds-Building« in London (1986) gleicht einer orbitalen Ölraffinerie. Die Entwürfe für ein Kongreßzentrum in Tokyo (seit 1989) erinnern an einen überdimensional vergrößerten Schaltplan eines Mikrochips.

Rogers Suchbilder allerdings sind dem alten Mythos von Körper und Maschine entlehnt: Der Bau besteht aus Kopf- und Körperteilen. Die Wohnmaschine ist beweglich, vergrößer- und verkleinerbar. Die gläserne Haut atmet. Die konstruktiven Details, wie die Gelenkverbindungen, Träger und Stützen, Treppen und Stege gleichen einem Skelett. Die Bauten haben Glieder, die mittels stählerner Raumfachwerke ausgreifen. Das Innenleben der Architekturen wird durch Röhren und Transportbänder geregelt, unseren Adern ähnlich. Solch ein künstlich intelligenter Bau reagiert zudem flexibel auf das unterschiedliche Klima, ist energieschonend und nutzungsunabhängig. Die Supermaschine? »Eher vergleichbar mit Robotern werden uns diese Gebilde mit ihren chamälionartigen Oberflächen dazu zwingen, uns mit den traditionellen Bauweisen auseinanderzusetzen. Architektur wird nicht länger eine Frage von Masse und Volumen sein, sondern von filigranen Strukturen,« kommentiert Rogers sein Bauen der Zukunft.

Auch Rogers neueste Planungen, die anhand von Skizzen, Zeichnungen und Modellen in der Galerie Aedes zu sehen sind, lassen keinen Zweifel an der Technikbegeisterung des britischen Meisters aufkommen. Indessen, einen naiven Umgang mit den innovativen Materialien und futuristischen Formen praktiziert der Architekt nicht. Schon seine erste »Maschine«, das Centre Pompidou in Paris, das Rogers gemeinsam mit Renzo Piano 1977 fertigstellte, bestand nicht aus vorgefertigten Teilen, industriellen ready-mades oder unausgereiften Bautechniken, sondern sorgsam hergestellten Artefakten [sic!korr.], die mit geradezu handwerklicher Präzision zusammengebaut wurden. Bloße High-Tech-Ästhetisierungen, die heute in dekonstruktivistischen Zertrümmerungsformen an manchen Fabrik-, Geschäfts- und Wohnbauten zu sehen sind, finden sich darum auch nicht in den Entwürfen für den Europäischen Gerichtshof in Straßburg (1989—1993). Dort vermittelt der Bau in der Figur eines schnittigen Dampfers eher eine Skepsis gegenüber modernster Technologie und thematisiert so eine Balance zwischen Beständigkeiten und Veränderungen am Bau.

Auch Rogers Planungen für einen Hotel- und Dienstleistungskomplex am Bahnhof Zoo sind nicht himmelschreiend. Auf dem Straßendreieck Hardenberg-/Joachimstaler/Kantstraße soll ein 20geschossiges, offen strukturiertes Gebäude aus Stahl und Glas entstehen, dessen Charakteristikum ein großes verglastes Atrium an der Eingangsfront mit Blickrichtung auf den Hardenbergplatz werden wird. Den Rahmen für das »Fenster zum Zoo« bilden eine transparente Fassadencollage und die beiden ingenieurmäßgen Erschließungs- und Telekommunikationstürme. Der Entwurf Rogers reagiert auf die Drehscheibenfunktion des Ortes »Bahnhof Zoo«. Er ermöglicht Interaktionen zwischen den horizontalen Bewegungsabläufen der Passanten, Zügen und U-Bahnen und den dieses System durchstoßenden Lift- und Treppenanlagen im Haus; eine Dialektik zwischen Innen- und Außenraum. Es ist eine der Leitideen in den städtebaulichen Planungen des Engländers, den öffentlichen Platz in einem bekannten Verständnis wiederzuentdecken: Wie die italienischen Piazzas ist er, der »public space«, ein gesellschaftlicher Ort, der bis in die angrenzenden Bauten reicht.

So gesehen, sind die Merkmale der Rogersschen High-Tech-Architekturen nicht Ausdruck einer platten technologischen Zukunftsvision. Sie scheinen eher geeignet, einer nachindustriellen Gesellschaft die ästhetischen Repräsentationsformen einer schon obsolet gewordenen Zeit zu geben. Ihre Modernität liegt in einem besseren Gebrauch der Techniken und in ihrer Flexibilität. Die eigentlichen Chiffren seiner Architekturen aber sind zylindrische, ingenieurmäßige Formen (etwa die Ausstellungshalle in Tokyo), die dem Mondraketenzeitalter der sechziger und siebziger Jahre oft näher sind als dem 21. Jahrhundert.

Die Ausstellung ist noch bis zum 15.Juni in der Galerie Aedes zu sehen, täglich von 10.00—18.30 Uhr. Es erscheint ein Katalog.