Onkel und Neffen im dritten Grad

■ Die Werktätigen des Lichts im Berliner Glühlampenwerk Narva GmbH und in Dieter Binningers Firma Vilum — 9. Lieferung

In den letzten Wochen stießen wir merkwürdigerweise vor allem auf Filmmaterial zun unserem Thema (zur Erinnerung: Es war Edison, der einst den Filmprojektor erfand): Auf einem Splatter-Symposium erfuhren wir von der Existenz eines Hannoveraner Filmers, der einen Film über eine Glühbirnen-Verschwörung, mit dem Titel Adolf gemacht hatte, bei einer Beerdigung erfuhren wir von einer Filmerin, die gerade — über ein ähnliches Thema — bei Osram filmt und auf der Veranstaltung Außerhalb von Mittendrin lief der bei Narva gedrehte Spielfilm Alle meine Mädchen — von Iris Gusner, 1979: »Ein Mann, ein Regisseur, lernt darin, daß die Macht der Kamera zwar groß ist, aber die Frauen im Glühlampenwerk ihm eine Sicht der Dinge beibringen, die ihm vorher mit dem Blick durchs Objektiv nie gelungen wäre«, so Annette Eckert und Doris Berninger. Von ersterer erfuhren wir dann noch, daß es neben einigen Spielfilmen auch noch jede Menge DDR-Dokumentarfilme über Narva gibt: »Die sind von den Filmemachern noch und nöcher ausgebeutet worden!« Dann kopierten wir uns den vom ZDF nicht ausgestrahlten TV-Beitrag über Narva, den Binninger seinerzeit noch initiiert hatte, und dann noch einen kurzen Film, in dem Binninger mit einem Osram-Ingenieur über seine Erfindung, die Langlebensdauerglühlampe, stritt, mit daran beteiligt war auch ein Bewag-Lichttechniker, mit einem Statement dazu.

Ebenso interessant wie die Fundstücke waren die Abschweifungen dahin selbst: über einen Vogelsberger Künstler lernten wir z.B. vor einiger Zeit einen Frankfurter Maler, Thomas Markert, kennen, und der gab sich uns als direkter Nachkomme des Glühbirnenerfinders Heinrich Goebel, aus dem erzgebirgischen Annaberg stammend, zu erkennen. In der DDR, aber auch in den alten westdeutschen Schulbüchern, wurde Goebel noch als der Glühbirnenerfinder erwähnt und geehrt. In Fritz Vögtles Rowohlt-Monographie Edison taucht Goebel hingegen nicht ein einziges Mal mehr auf. Dafür immerhin der Hinweis — von Edison selbst —, daß er einmal in Ägypten einen Patentrechtsstreit verlor, weil »das Patentamt des Landes entdeckt hatte, daß etwas Ähnliches bereits 2.000 Jahre vor Christus in Ägypten benutzt worden war«. 1982 hatten auch zwei Hobby-Archäologen, Krassa und Habeck, nach Deutung einiger Reliefs im Hathor-Tempel, behauptet, die alten Ägypter hätten die Glühbirne erfunden — sie berichteten darüber in der Zeitschrift 'esotera‘. In Ägypten scheint ihre These schon seit einigen tausend Jahren zum gesunden Volkswissen zu gehören, wenn das Kairoer Patentamt bereits 1912 davon ausgegangen war. (In Rußland feiert man den Glühbirnenerfinder A.N. Lodygin.) Ohne Kenntnis dessen, allein vom Anti-Eurozentrismus beseelt, hatten wir in der taz diese altägyptische Priorität schon 1986, gegenüber dem Doof-Aufklärer Schivelbusch geltend gemacht. Zurück zu Goebel: Der hatte kurz nach der gescheiterten 48er-Revolution, nach dem »Sturm aufs Springer Rathaus«, in dessen Folge er nach Amerika ausgewandert war, in New York, genauer gesagt, in der Monroe-Street, die Glühbirne erfunden. Dies war dann auch in einem Patentrechtsverfahren, das Goebel gegen Edison angestrengt hatte, 1893 festgelegt worden. Goebel starb kurz darauf. Zum Beweis seiner Abstammung von diesem — als Revolutionär und Erfinder — Gescheiterten, legte Thomas Markert uns eine »Abhandlung« über seinen »Ururur-Großonkel, den Erfinder Heinrich Goebel« vor, die sein Großvater, Kurt Markert, nach eigenen Angaben »Buchhalter und Autodidakt der Kernphysik«, verfaßt hatte. In Summa ging daraus bloß hervor, daß irgendein Markert einmal eine geborene Goebel geheiratet hatte, wodurch sich über »Onkel und Neffen im dritten Grade in der Seitenlinie« eine direkte Verbindung zum Glühbirnenerfinder herstellen ließ.

Aber das war nicht ohne Witz, denn der Autor der Genealogie Goebels, Thomas Markerts Großvater, hatte am Ende elegant den Bluts-Bogen zu seiner eigenen Erfindung geschlagen: »In diesem Zusammenhang halte ich es für nicht unwichtig, auf das Hobby des Schreibers dieser Zeilen hinzuweisen, nämlich Autodidakt der Kernphysik. Wie in diesen Wochen und Monaten der Allgemeinheit immer mehr zum Bewußtsein kommt, daß die Welt-Energie- Reserven künftig immer mehr zusammenschrumpfen und dadurch die Zukunft unserer Nachkommenschaft gefährdet wird, so entsteht die düstere Vision, Kernenergie durch Kernkraftwerke ist umweltfeindlich, aber ohne Kernenergie gehen bald die Lichter aus. Die Alternative zur Kernenergie aus thermonuklearen Reaktoren ist die von mir patentamtlich angemeldete... Elektronenröhre zur Direktübertragung von Kernenergie in elektrischen Kraftstrom. Diese Erfindung erschließt meines Wissens eine völlig neue Energiequelle, da sie auf einem von der zur Zeit geltenden Kernphysik völlig unterschiedlichen Kernmodell beruht. Ein Prüfungsergebnis, das für mich positiv im Kernforschungszentrum Karlsruhe erstellt wurde, läßt mich hoffen, daß ein durch das Forschungsministerium noch zu genehmigendes Experiment die Richtigkeit meiner Kerntheorie beweist und eine kerntechnische Produktion solcher Elektronenröhren im Kernreaktor ermöglicht. Solche Röhren wären umweltfreundlich und hinterließen nach zwölfjähriger Betriebsdauer (Halbwertszeit von Tritium) keinerlei radioaktiven Müll. Eine patentamtliche Offenlegungsschrift (Deckblatt) füge ich bei. Recht herzliche Grüße/ Dein Opa/ 21. März 1977/ Anlage.«

Wir nannten seine Erfindung schon bald — liebevoll — die »Markertsche Energieröhre«. Er hatte sie wie folgt beschrieben: »Die eine Öffnung ist mit einer Kohlenstoffelektrode als Kathode abgeschlossen, die andere mit einer Neodymelektrode als Anode, in ihrem Inneren befindet sich angereichertes Lithium 6Li von etwa 360 g, wobei die genannte Röhre mit der Füllung der Neutronenaktivität eines Reaktors von maximal 1,8 . 1014 n/cm2 ausgesetzt wurde.«

Was er damit sagen wollte, war klar: Die ganze anachronistische Dampfmaschinentechnologie zwischen der Freisetzung von Atomenergie und dem Strom in der Leitung sollte durch eine ebenso handliche wie praktische »Elektronen-Röhre« ersetzt werden. Wir waren begeistert. Thomas' Großvater war inzwischen verstorben. Wir fuhren zu ihm nach Hause und sahen uns das noch unberührte Arbeitszimmer des Erfinders an, stöberten ein wenig in seinen Akten. Um seine Idee weiter auf ihre Brauchbarkeit hin testen lassen zu können, hatte Kurt Markert, der — wie sein Enkel uns erzählte — Zeit seines Lebens am liebsten an seinem Schreibtisch gesessen, aus dem Fenster geschaut und nachgedacht hatte, mit so ziemlich jedem Mächtigen der Welt einen Briefwechsel begonnen: das Spektrum der von ihm Angeschriebenen reichte von Heisenberg und Max Planck bis zu Franz-Josef Strauß, den Kennedys und dem Papst. Es waren mehrere Aktenordner voll. Wir verstanden schon sein Atommodell, das den Berechnungen für seine Tritium-Röhre zugrunde lag, überhaupt nicht. Hatten aber die gute Idee, mit der umfangreichen Patentschrift nebst einigen Skizzen im Anhang zu einem Gelnhäuser Erfinder — Hans Bals — zu gehen. Wir hatten ihn im Zusammenhang einer Recherche über Erfinder im oberhessischen Think-Tank Gelnhausen kennengelernt — als Konstrukteur eines Gesundheitsfahrrads. Aber Bals besaß auch noch mehrere Patente im nukleartechnologischen Bereich und hatte 15 Jahre zuvor die NTG (Nukleartechnologische Gesellschaft) gegründet. Er empfing uns auch sofort, bot uns sogar Kaffee und Kuchen an, meinte dann jedoch, das wäre eher etwas für einen Atomphysiker, dafür sei er nicht qualifiziert genug. Außerdem interessierten ihn dann sowieso die Künstlerprobleme von Thomas Markert mehr, weil seine Tochter ihm gerade gestanden hat, daß sie sich beim Frankfurter Städel als Studentin beworben hat. Bei einem weiteren Treffen wiederum war Bals gedanklich zu sehr von einem Gerichtsprozeß, den er gegen den Fürsten von Ysenberg zu Büdingen seit Jahren führte, in Anspruch genommen: Dem Fürsten war es gelungen, »mit Auswechseln der Schlösser und allen Schikanen«, Bals' Firma, die NTG, an sich zu reißen.

Nun stand die letzte Instanz — vorm Bundesgerichtshof in Karlsruhe — an. Und dort wurde Bals dann auch — »so weit das noch möglich war« — Recht gegeben. Die Nukleartechnologische Gesellschaft verblieb jedoch im Besitz des Büdinger Fürsten, er benannte sie wenig später um — in »Neue Technologische Gesellschaft« (NTG). Auf einer Veranstaltung des Büdinger Geschichtsvereins, auf der — »zum gegenseitigen besseren Kennenlernen« — der Fürst aus seinem Leben plauderte (befragt von seinem Bibliothekar), kam auch die Gelnhäuser Firma NTG zur Sprache: Sie war aus seiner »kaufmännischen Sicht« zu wenig »betreut« worden: »Ich hätte eigentlich Konkurs anmelden müssen«. Er fällte statt dessen eine »unternehmerische Entscheidung«, die, »das muß ich selber sagen, mutig war«: Statt einen Sozialplan aufzustellen, investierte er neu, stellte einen Mitarbeiter der Hanauer Nukem, Ortmeyer, als neuen Geschäftsführer ein, und konzentrierte sich auf den Export, der nunmehr bereits 70 Prozent ausmache. Und, was er natürlich nicht erwähnte, wechselte er die Türschlösser aus — »in einer Nacht- und Nebelaktion«. Der alte Raubritter. »Heute ist das eine feinmechanische Werkstatt auf einem ganz hohen Niveau, die mit Nuklear gar nichts mehr zu tun hat, sondern mit Forschung, Riesenhuber, und was noch alles, und mit Pakistan und Indien und Taiwan und mit Südafrika natürlich. Auch mit Amerika. Dort ist ein Institut, den Namen habe ich jetzt vergessen, die an einem Ersatz für die Atomkraft arbeiten. Im Jahr 2025 hoffen sie, daß sie soweit sind.« Kurz nach dieser Geschichtsvereins-Veranstaltung mußte sich der Geschäftsführer des Fürsten, Ortmeyer, vor dem Hanauer Landgericht wegen illegaler »Atomexporte« verantworten. Desgleichen der Referatsleiter »Exportkontrolle« im Bundesamt für Wirtschaft, Ruck, der dem NTG-Geschäftsführer empfohlen hatte, in seinem Exportantrag statt von »Tritiumextraktionsanlage«, der »etwas ungeschickt sei« lieber von »Schwerwasserreinigungsanlage« zu sprechen. Schon seit Jahren, seit Beginn der NTG-Exportoffensive, des Fürsten, war Ruck darüber informiert, daß die Amerikaner, aber auch die Franzosen und die Russen besorgt über die bundesdeutsche Atomexportpolitik, insbesondere die Pakistan-Aktivitäten der NTG waren. Anscheinend mußte er das Spiel mitspielen: Der Ysenburger Fürst, brasilianischer Großgrundbesitzer und Erbe des größten zusammenhängenden Waldbesitzes in der BRD, besaß einflußreiche Freunde: neben Riesenhuber auch den Postminister Schwarz- Schilling; der sein Nachbar in Büdingen war, außerdem stellte eine andere ysenburgische Firma »Chef-Möbel« für die Deutsche Bank her. Für die Tante von Kurt, dem Gärtner, war es der »schönste Augenblick« ihres Lebens, als die Tochter des Fürsten in einer weißen Hochzeitskutsche an ihrem Haus vorbeifuhr und ihr huldvoll zulächelte, gar winkte. Die Oma von Volker, einem Maler, konnte sich dagegen noch gut daran erinnern, »wie sich alle hinter ihren Fenstern duckten, wenn der Fürst einst mit schweren SS-Stiefeln durch die Gassen ging«.

Auch sein Geschäftsführer Ortmeyer führte sich später gut in die neue Gesellschaft ein: der Gelnhäuser CDU-Bürgermeister, ein ehemaliger Leichenwäscher, wurde sein Trauzeuge. Im Hanauer Prozeß gegen ihn und Ruck wurde die Verantwortung des Fürsten nicht thematisiert. Auch in einem taz-Bericht wird der Ysenburger — als NTG-Besitzer — nicht erwähnt. Und sowieso verlor man bald den Prozeßverlauf aus den Augen und aus dem Sinn. Erst mit dem »Irren aus Bagdad« und dem Golfkrieg geriet die Hanauer Verhandlung wieder in die Presse: Pakistan hatte nämlich den Irak mit Atomtechnologie versorgt, so daß im Endeffekt auch die Gelnhäuser NTG für die mögliche Existenz einer irakischen Atombombe verantwortlich war. Gegen Prozeßende strahlte der HR einen Film von C.M. Fröhder aus: Tod für die Welt, in dem u.a. auch der Ysenburger Fürst interviewt wurde. Auf die Frage, ob er sich nicht schuldig fühle — an diesem NTG- »Know-how-Transfer«, der vielleicht die Israelis jetzt mit Vernichtung bedrohe, antwortete der Fürst: »Ich weiß nicht, was die NTG für Geschäfte macht, das weiß höchstens mein Wirtschaftsprüfer, und nicht mal der, der liest nur die Zahlen.«

Das war natürlich glatt gelogen und Ortmeyer also nur ein blödes Bauernopfer (er bekam dann ein paar Monate Knast!!). Der Hanauer Staatsanwaltschaft schickten wir daraufhin eine Tonbandabschrift der fürstlichen Prahlerei der Geschichtsverein- Veranstaltung, aber diese Schweinejuristen hatten es nicht einmal nötig, den »Eingang« zu bestätigen. Immerhin schickte uns später ein »kleiner Justizangestellter« aus Hanau ein Video über die »Dschihad Electric« (»Elektrischer Heiliger Krieg«: ein privates Strom- und Lichtversorgungsunternehmen in Bagdad. Auf dem Videoband befand sich auch ein Interview mit Bob Dylan, der vor sich auf dem Tisch eine große Glühbirne zu liegen hatte: »Was machen Sie mit der Glühbirne?« — »Oh, die habe ich immer bei mir!« — »Warum denn das?« — »Ein guter Freund hat sie mir geschenkt, und ich habe sie immer bei mir.« Nach der Pressekonfernz trifft Dylan in der Hotel-Lobby einige Fans, eine junge Frau fragt ihn: »Hey Bob, what is your main Message?« Dylan: »My main message? Think for yourself and always carry a light bulb!« (Ihr könnt es nachprüfen: grad neulich lief das Interview auch in der ARD und Freund Bröckers hat es aufgenommen — er besitzt nämlich so einen komischen Videorekorder und ist überhaupt jeder neuen Technik gegenüber wahnsinnig aufgeschlossen, was man von uns nicht sagen kann!) Künstlergruppe »BILD kämpft für NARVA«