Die Angst geht um in Lichtenberg

■ In dem Ost-Bezirk ist die Polizei ständig präsent — und die Skins liegen auf der Lauer

Skins jagen, Skins schlagen, wer soll sich das wagen?« steht mit schwarzem Filzstift gekrakelt auf dem öffentlichen Telefon im Untergeschoß des Bahnhofs Lichtenberg. Peinlich sauber ist der Fußboden hier, kein Mensch durchquert in der Mittagszeit die kleine, künstlich beleuchtete Durchgangshalle. Aus der kleinen Kneipe »Zum Tender« klingt moderates Gegröhle. Das verlorene Spiel der Fußball-Nationalmannschaft gegen Wales wird beim Bier von einem Dutzend Skins beklagt, die hier stets die einzige Kundengruppe stellen. Das zumindest erzählen die vier Polizisten, die demonstrativ in der Halle stehen.

Weitere Kollegen sind auf dem Bahnhof unterwegs, zwei Grenzschutz-Bullis stehen vor der Haupthalle. Man sei hier dauerpräsent, sagt ein Bahnpolizist. Zu dieser Tageszeit gebe es hier nichts zu sehen. »Kommen Sie gegen acht, neun Uhr abends wieder, gucken Sie sich's an, und ziehen Sie ihre Schlüsse.«

Schräg gegenüber vom »Tender« liegen das »Schnellbuffet«, ein Imbiß mit Stehtischen und Daddelautomaten und der Mitropa-Kiosk »Reiseservice«. Der Verkäufer, Herr Hirschfeldt, ein Mittvierziger mit Lesebrille, arbeitet seit fünf, sechs Jahren hier. »Seit der Trennung ging das rapide los«, sagt er und meint die Vereinigung und das verstärkte Auftreten der »jungschen Leute mit ihren Nazi-Liedern«. Die stürzen dann und wann spät abends aus dem »Tender« oder dem Imbiß heraus und beschimpfen dunkelhäutige Menschen und »werden auch mal handgreiflich«. Aber gröbere Aktionen wie das Werfen mit Papierkörben, seien »seit Adolfs Geburtstag im April« nicht mehr vorgekommen.

Lange schon war Lichtenberg im Jargon die »Vollkontaktgegend«, in der Skins sich mit anderen Jugendlichen prügelten. In der Weitlingstraße, einem langen Schlauch aus grauem Verputz, hatten die Jung- Neonazis der »Nationalen Alternative« in der Wendezeit ein Haus besetzt, bis schließlich 5.000 Linke im Juni 1990 massiv dagegen angingen. Nun hat die Berliner Wohnungsgesellschaft sie in einzelne Einraumwohnungen verlegt.

In der CDU-Bezirksgeschäftsstelle unweit des Bahnhofs, wo ständig Schaukästen, Lampen, Schilder und die Klingel zertrümmert werden, ist man sich einig, daß es zur Zeit gerade »ruhiger« sei. Vor zwei Wochen sei zuletzt jemand krankenhausreif geschlagen worden, vorm Eisenwarengeschäft an der Ecke. Die CDU-Frau, 36, stand neulich mit ihrem Sohn an einer Imbißbude in Hellersdorf: »Da war eine Horde Skins«, erinnert sie sich, »die haben sich lautstark zu dem Überfall auf die Homosexuellen in Mahlsdorf bekannt und angekündigt, daß sie noch mehr Power machen würden. Ist das normal?«

Ein bißchen weiter liegt in einer Nebenstraße die kommunale Kunstgalerie »Sophienstraße 8«. Dörthe Lammel und Sibyll Wahrig wissen, daß »Aggression immer da war, aber damals beschränkte sie sich auf Telefonzellen und Plakatwände«. Sie fürchten, daß es mit der Gewalt schlimmer wird, wenn am 3. Juli die große Arbeitslosigkeit kommt. »Niemand hat mehr die Zeit, über sich nachzudenken, niemand hat ein Programm zur psychischen Stabilisierung«.

Wo die Weitlingstraße aufhört, beginnt die Hans-Loch-Straße. Plattenbau an Plattenbau, ein einbetonierter Bach. Am Ende liegt isoliert das Wohnheim für ausländische Arbeitskräfte »Tierpark I«. Hier wohnen einige hundert VietnamesInnen, die nicht wissen, wie lange sie noch in Deutschland geduldet werden. Auf dem Spitzen-Tischdeckchen im Wohnzimmer der Dolmetscherin Vo-Cam Trang, 48, liegt ein Gasrevolver — neben der Kaffeekanne. Vor drei Wochen war hier der letzte Überfall: vier Verletzte, die Täter kamen in drei Autos.

Mindestens einmal im Monat werden Landsleute von Trang auf dem Weg zur Arbeit oder zur Kaufhalle ausgeraubt. Die Täter seien meist Halbwüchsige, Skinheads seien darunter, sagt Trang, die insgesamt schon 15 Jahre in Deutschland ist und Chemie und Ökonomie studiert hat. »Das Leben ist nicht mehr so gemütlich, wenn man keine Sicherheit mehr hat.« Hier gehe man jetzt abends nicht mehr vor die Tür. »Vielleicht denken die jungen Leute, sie müssen was nachholen mit der Randale«.

Vor der Schwimmhalle stehen ein Techniker und ein Schwimm- Übungsleiter, ein junger Student. »Jetzt, wo sie die Jugendklubs dichtmachen, hängen hier viel mehr Kids rum als früher, achte, neunte Klasse«. Dem Techniker geht auf die Nerven, daß die Polizei »immer auf die Fidjis draufgeht, die Zigaretten verkaufen«, aber die kleinen Nazis nicht zu fassen kriegt. Neulich habe so einer ihm in der vollbesetzten U-Bahn eine Pistole vor die Nase gehalten, weil er den böse angeschaut hatte. »Alle anderen in der Bahn haben weggeguckt.« Schließlich sei der Skinhead an der nächsten Station ausgestiegen. Hans-Hermann Kotte