: ABTRÜNNIGE TOURISTEN
■ Teil 3 der touristischen Verweigerung: Auch Tunesiens Tourismusindustrie spürt den Imageverlust durch den Golfkrieg
Teil 3 der touristischen Verweigerung: Auch Tunesiens Tourismusindustrie spürt den Imageverlust durch den Golfkrieg
VONCHRISTELBURGHOFF
Während die Sieger im Golfkrieg die Siegesfeier längst beendet und das Thema für sich abgeschlossen haben, scheint der Krieg in Tunesien auf imaginäre Weise weiterzutoben. Krieg in Tunesien? Weit ab vom eigentlichen Kriegsschauplatz gelegen, könnte man zahllosen Schreckensmeldungen über das Ausbleiben von Touristen zufolge doch annehmen, daß dieses Land eine hochgradige Gefahrenzone darstellt. Dabei entfaltet der Krieg in den Köpfen erst nachträglich seine volle Wirkung. Friedensfreunde müßte es freuen, denn die Touristen verhalten sich vorbildlich und meiden einfach die Orte möglicher Kampfhandlungen.
Tunesische Touristiker sehen das anders, sie sind entsetzt. „Wenn unser Bruder ein Land überfällt, warum bestraft man dann uns und nicht ihn?“ Aus den Worten des örtlichen Chefs der Reiseagentur Tunesien Travel Service spricht blankes Unverständnis, als er auf Djerba einer Gruppe Journalisten die aktuelle touristische Gretchenfrage stellt. Achselzucken und vage Thesen über die leichte Manipulierbarkeit des durchschnittlichen Massentouristen durch die Massenpresse bringen ihn auf ein heißes Thema, nämlich die Rolle der Medien bei der Panikmache. Die 'Bild‘-Zeitung habe suggeriert, daß Touristen um Leib und Leben fürchten müßten. Proirakische Demonstranten hätten sie mit Steinen beworfen.
Ein Blick in die Reiseberichterstattung der deutschen Medien dagegen offenbart etwas anderes: In den letzten Monaten häufen sich die Tunesienberichte, die nicht allein die Schönheiten des Landes in ein helles Licht rücken, sondern auch mitfühlend und verständig die schwierige touristische Situation Tunesiens seit dem Golfkrieg reflektieren. Neben philosophischen Spekulationen über die neu aufgebrochene Kluft zwischen Orient und Okzident finden sich auch herzzerreißende Schilderungen über touristenfreie Souks, in denen frustrierte Händler vergeblich auf Käufer ihres touristischen Tinnef warten. Die Strände sind leergefegt, in den Hotels verlaufen sich die wenigen Gäste, und die Animation probt quasi ohne Publikum. Der tunesische Tourismus habe vorerst von der Dienstleistung auf Durchhalten umgestellt.
Die Klage, die aus Tunesien ertönt, macht aber auch deutlich, daß sich das Land keinesfalls fatalistisch mit dem touristischen Einbruch abfindet, sondern alle Mittel einsetzt, um die abtrünnigen Touristen zurückzuholen. Die Angaben über den Besucherschwund schwanken. Ganz allgemein wird die Zahl von 40 Prozent weniger Deutschen im ersten Quartal dieses Jahres genannt. Mitte Mai soll die Hotelauslastung 20 bis 30 Prozent gegenüber 70 bis 80 Prozent früherer Vergleichsmonate betragen. Mit solchen Zahlen steht Tunesien keinesfalls allein da, auch andere Mittelmeeranrainer haben einen hohen Touristenrückgang zu verzeichnen. Tunesien jedoch ist auf den Tourismus ganz besonders stark angewiesen; darüber hinaus hat das Land große Zukunftspläne: Bis zur Jahrtausendwende soll die derzeitige Bettenzahl von 100.000 auf das Doppelte aufgestockt werden. Das touristische Angebot soll nicht allein erweitert, sondern auf Luxustourimus umgestellt werden.
Welche Rolle das Golfkriegsthema in diesem Zusammenhang spielt, liegt auf der Hand: Abgesehen von den realen aktuellen Problemen sind es die Investitionen für die Zukunft, die auf dem Spiel stehen. Je instabiler sich die politische Situation im Maghreb darstellt, um so eher steht zu befürchten, daß die teuren Saharaprojekte buchstäblich in den Sand gesetzt werden.
Bislang wurde von Touristikern immer entschieden erklärt, daß Tourismus und Politik nichts miteinander zu tun haben. Als vor einigen Jahren Tourismuskritiker auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin den Zusammenhang von Strandvergnügen und Diktaturen thematisierten und dabei auf die politischen Verhältnisse in vielen sogenannten Drittweltländer hinwiesen, ernteten sie empörte Ablehnung. Die Tourismusindustrie sei auf den reinen Urlaubsgenuß abonniert, so lautete die Gegenthese.
In der Tat: Die Touristiker setzen alles daran, den Urlauber vor Ort von allen sozialen Realitäten des Gastlandes fernzuhalten und die Fiktion einer touristischen Idylle ohne Kratzer und störende Begleiterscheinungen aufrechtzuerhalten. Gut abgeschirmt in luxuriösen Hotel- und Clubanlagen, verläßt der Gast sein Refugium in der Regel nur in kundiger Begleitung. Wie in Watte verpackt, wird er auf Sightseeing-Touren durchs Land kutschiert. Um so härter kann es ihn angehen, wenn ihn an touristischen Halteplätzen aufdringliche Händler verfolgen und sich vielleicht die Zeichen der Armut überdeutlich in die Szenarien schmuggeln. Der Reiseführer wird dann rasch die pittoreske Seite in den Vordergrund spielen und zu Fotos animieren.
Die sozialen Folgen dieser Form des organisierten Tourismus, wie Realitätsverkleisterung und Verfestigung von Vorurteilsstrukturen, sind seit Jahren hinlänglich untersucht und kritisiert worden. Was in europäischen Reiseländern noch vertretbar erscheint: in Ländern aus einem anderen Kulturkreis erweist sich die Praxis des Abschottens als fatal. Von der touristischen Idylle verwöhnt, ist letztlich niemand reaktionärer als der organisierte Tourist selbst. Können Ruhe und Ordnung nicht mehr garantiert werden, bleiben die Touristenströme aus.
Tunesien, das seinen Tourismus als Billigalternative zu Spanien aufbaute, spielt das Spiel mit dem reinen touristischen Vergnügen mit hohem Einsatz und auf traditionelle Weise. Bei Sousse ist beispielsweise ein komplett künstliches Hafengebilde, Port el Kantaoui, entstanden. Gefällig fürs Auge in anheimelnd „landestypischer“ Bauweise, beherbergt es von Tunesien selbst nicht viel mehr als Händler, Bedienstete und Gigolos. Um generell mehr touristische Infrastruktur zu bieten und um vom Billigtourismus wegzukommen, werden mittlerweile Spielcasinos eingerichtet und Sportarten mit hohem Imagewert wie Golf und selbst die Jagd verstärkt angeboten.
Darüber hinaus wird der Wüstentourismus forciert. Man ahnt es: Inmitten der tunesischen Wüstengebiete entstehen Luxushotels. Am Rande der Wüstenoase Douz, im südwestlichen Landesteil, ist — nach zwei schon bestehenden — jetzt der dritte Hotelkomplex im Bau. Unterm nächtlichen Wüstenhimmel am großen Swimmingpool zu dösen und von malerischen Sanddünen oder Kamelkarawanen zu träumen — es klingt verführerisch, gäbe es da nicht eine Reihe auffälliger Ungereimtheiten wie beispielsweise das Wasserthema. Bereits die Touristeninsel Djerba muß mangels eigener Quellen das Trinkwasser per Rohrleitung vom Festland beziehen; in den Wüstenoasen wird sich die Wasserversorgung nicht so problemlos lösen lassen, sondern langfristig auf Kosten der Dattelwirtschaft gehen und damit das wirtschaftliche Eigenpotential schwächen. Auch das Müllproblem wird unübersehbar. Was bislang wahllos in der Landschaft abgekippt wird, bleibt nicht nur auffällig liegen, großflächig verteilt der Wind die Plastikreste und ziert — wie auf Djerba — Sträucher und Bäume mit häßlichen Wimpeln.
Seit das Ökologiethema in unseren Breiten an Boden gewinnt, steigt angeblich auch die Umweltsensibilität der Touristen. Vielleicht fängt sich Tunesien mit den angepeilten Luxustouristen ausgerechnet jenes sensibilisierte Klientel, das das Land dann naserümpfend über den Zivilisationsschrott auf Nimmerwiedersehen verläßt.
Bereits in den siebziger Jahren war der Tunesien-Tourismus das Thema umfangreicher Studien. Detailliert wurde nachgewiesen, daß der erhoffte Devisenbringer Tourismus sich als Milchmädchenrechnung erweist, weil der Devisenrückfluß in die Entsenderländer zur Finanzierung von Massen- und Luxustourismus gravierend hoch ist. Entscheidend aber war die Einsicht, daß der Aufbau eines starken Tourismussektors in den Drittweltländern deren wirtschaftliche Abhängigkeit von den Industrieländern verstärkt. Der Tourismus ist ein Wirtschaftszweig, der den Bedingungen der Entsenderländer unterliegt. Ob Tunesien weiterhin als Reiseland „taugt“, bemißt sich nicht an den Beteuerungen tunesischer Touristiker, daß zu keiner Zeit des Golfkrieges eine Gefahr für Leib und Leben der Touristen bestand, sondern vielmehr an den touristischen Bedürfnissen in den Entsenderländern, zu keiner Zeit aus dem ungetrübten Urlaubsgenuß wachgerüttelt zu werden, weder mit Algenpest noch Müll und schon gar nicht mit sozialen Konflikten konfrontiert zu werden. Mit dem Golfkrieg mußte jetzt auch Tunesien die Erfahrung machen, an eine fremde statt an eine eigengesetzliche Dynamik angebunden zu sein und auf Dauer vielleicht draufzuzahlen statt zu gewinnen.
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