Erneut Bedenkliches

■ Wenn Lachse leichen

Der unwahrscheinliche Glücksfall, von dem wir Journalisten sonst nur aus der Zeitung erfahren, traf unlängst einen unsrer nobelsten Kollegen: Herr Jörg von Uthmann, der im Hauptberuf die Kultur der 'FAZ‘ in New York propagiert, ward unvermutet von einer tückisch herabstürzenden Dachpfanne touchiert. Noch völlig verwirrt berichtet er davon anläßlich seiner Zeitschriftenrundschau Der Umweltschutz und seine Grenzen.

Die alte Wahrscheinlichkeitsrechnung der konservativen Kulturkritik, daß es gefährlicher sei, eine Überlandstraße zu passieren als z.B. sein Feld bei Tschernobyl zu bestellen, schießt bei ihm aufs neue ins radioaktive Kraut: Obwohl die Zahl der Todesopfer nach wie vor nicht feststeht, ließ sich keine deutsche Zeitung und keine Fernsehanstalt die Gelegenheit entgehen, anläßlich des fünften Jahrestages die Gefahren der Kernenergie liebevoll an die Wand zu malen. Anlaß für unsern geschätzten Kollegen, an die großen Passagierdampferkollisionen der letzten Jahre zu erinnern, die von keiner deutschen Zeitung eines Gedenkblattes für würdig befunden wurden. Wenn wir Junker Jörg nicht hätten, wären Tausende für nichts und wieder nichts ertrunken.

Und nur einem wie ihm kann der menschenfreundliche Gedanke kommen, daß aus vergossenem Öl so viel Fische springen wie nie zuvor, denn der Lachsfang vor der Küste Alaskas war nie ergiebiger als nach der Havarie des Öltankers. Ein klares Wasser auf die Mühlen all derer, die gut aus allen Hähnen trinken können: Die verbreitete Vorstellung, wer die Natur schützen wolle, müsse sie in Ruhe lassen, sei ein Mythos, zitiert der Placebo-Theoretiker die sogenannte Fachwelt. Für den Freund der Gegenwart führen die ungeplanten Verdichtungen des Kapitalismus sowohl in Form von Tankerkollisionen wie auch als seriöse Planerfüllung zum gleichen schönen Ergebnis: die Natur, einmal herausgefordert, reagiert auf die Anforderungen der Umwelt wie jeder kluge Arbeitnehmer mit Flexibilität. Nur wo Ideologen eingreifen, kommt es zum Unglück: Die Einstellung der Elefantenjagd führte zu einer derartigen Vermehrung der gefräßigen Tiere, daß der [Tsavo-Nationalpark in Kenia] nach kaum zehn Jahren „aussah wie eine Mondlandschaft“.

Kleine Ursachen tun oft große Wirkung: eine harmlose Dachpfanne genügte, um unsern Jörg vom Kulturkorrespondenten zum kleinen Darwin zu promovieren. Bei seinen Recherchen zur Fortschreibung der „Entstehung der Arten“ eilt er mit Flügelschuhen von den Lachstraufen in Alaska zu den Vulkanseen Kenias, um wieder bei der Ruine von Tschernobyl anzukommen. Mit dem Nobelpreisträger Hans Bethe steht er dort im Strahlengewitter und trommelt für den Untergang der Welt im preußischen Stechschritt: Ein Tschernobyl kann in Amerika nicht vorkommen. Die Vereinigten Staaten und andere Industrieländer brauchen die Kernenergie.es/ww