: Im Rückstand
■ Dem Zukunftskongreß der IG Metall fehlt der Ausblick
Im Rückstand Dem Zukunftskongreß der IG Metall fehlt der Ausblick
Die Industriegewerkschaft Metall wollte anläßlich ihres hundertjährigen Jubiläums nicht nur ihre mehr oder weniger glorreiche Vergangenheit abfeiern, sondern auch über ihre Zukunft diskutieren. Das ist angesichts der drängenden Probleme innerhalb und außerhalb der deutschen Grenzen nicht nur verständlich, sondern bitter notwendig. Auch für die Gewerkschaften ist seit 1989 nichts mehr, wie es vorher war. Sie müssen im eigenen Land nicht nur wie bisher zwischen unterschiedlichen sozialen Interessen ihrer Mitglieder vermitteln, sondern einen solidarischen Zusammenhang zwischen völlig ungleichen Gesellschaften herstellen. Ersteres haben sie in einem langen, mühsamen Diskussionsprozeß gelernt. Letzteres aber, obwohl für ihr eigenes Überleben existentiell wichtig, ist ihnen bislang nicht überzeugend gelungen.
Die IG Metall hatte Ende der achtziger Jahre in einer breit angelegten Zukunftsdiskussion versucht, ihren Modernitätsrückstand gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung aufzuholen, sich programmatisch und praktisch zu öffnen. Diese Öffnung zur Ökologie hin, zur Frauenbewegung, zu den modernen Angestelltenschichten war schon damals in der breiten Mitgliedschaft der Gewerkschaft, die immer noch aus Arbeitern besteht, nur zögernd aufgenommen worden. Aber diese Notwendigkeit war evident und entsprach den Entwicklungstendenzen der westdeutschen und westlichen Gesellschaft. Nach den Umwälzungen in Ostdeutschland und Osteuropa sind diese Diskussionen zwar nicht überholt, sie müssen jedoch auf einen neuen gesamtgesellschaftlichen Kontext bezogen werden.
Die Diskussion hierüber hat der zweitägige Frankfurter Kongreß nur in Ansätzen geführt. Es reicht eben nicht, der allgegenwärtigen, drängenden Präsenz der deutsch-deutschen Probleme die Existenz des weltweiten Konflikts zwischen Reichtum und Armut entgegenzuhalten. Es genügt nicht, die Diskussion über Solidarität zwischen Ost- und Westdeutschen, auch der Gewerkschaftsmitglieder, durch besondere Hervorhebung des Nord- Süd-Konflikts zu überspielen. Es wäre doch gerade darauf angekommen, den inneren Zusammenhang zwischen beiden Problemfeldern für die gewerkschaftliche Strategie herauszuarbeiten. Vielleicht haben die Organisatoren das sogar gewollt. Gelungen ist ihnen das nicht. Martin Kempe
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