Euro-Parlamentarier fordern Migranten-Charta

■ Bürgerrechte für Ausländer in allen zwölf EG-Staaten sollen definiert werden/ Schwerpunkt: Kommunales Wahlrecht für alle Einwanderer

Berlin (taz) — Von der Pflichtgröße für Tomaten über das Werbeverbot für Zigaretten bis hin zu gemeinsamen Importzöllen kümmert sich die Europäische Gemeinschaft so ziemlich um alles, was im Binnenmarkt von Interesse sein könnte. „Harmonisierung“ lautet der EG-Fachbegriff für die Anpassung des nationalen Rechts in den zwölf Mitgliedsländern. Doch im Fall des „Dreizehnten Mitgliedslandes“ versiegt die Harmonisierungswut der Brüsseler Spitzenbeamten: Für die mehr als acht Millionen Ausländer aus Nicht-EG- Staaten, die in den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft leben, fühlt sich die EG nicht zuständig. Zum Schutz der Rechte dieser starken Minderheit haben Europaparlamentarier und Vertreter von Ausländerorganisationen in Luxemburg in dieser Woche die Schaffung einer „Charta für die Bürgerrechte von Migranten“ gefordert. Zentraler Bestandteil dieser Charta müsse das kommunale Wahlrecht für Ausländer sein. Der Vorsitzende des Sozialausschusses im Europaparlament, der niederländische Sozialist Willem van Velzen, schlug darüber hinaus in Luxemburg vor, ein Quotensystem einzuführen, um die Aufnahmefähigkeit der einzelnen Länder der EG zu erfassen.

Jahrelang hatten Bürgerrechtler gefordert, daß die Sozialcharta der Europäischen Gemeinschaft auch die Interessen von Bürgern aus „Drittstaaten“ einschließen würde. Damit wollten sie auch die Römischen Gründungsverträge der EWG von 1957 korrigieren, in denen das Thema Migranten mit keinem Wort erwähnt ist. Seither, so das Argument der Bürgerrechtler, habe sich die Situation entscheidend verändert. Europa sei zur Einwanderungsregion geworden, und diesem Faktor müßten die europäischen Verträge Rechnung tragen. Doch die nach langen Diskussionen 1989 verabschiedete Sozialcharta enttäuschte die hohen Erwartungen: Wieder ist von Ausländern keine Rede darin.

Eine eigene „Migranten-Charta“ soll jetzt die alten Fehler ausbessern. Die Charta die garantieren muß, daß Nicht-EG-Staatler im Europäischen Binnenmarkt ab 1993 zu „Bürgern zweiter Klasse“ mit weniger Rechten werden, war das Hauptthema einer Migrationskonferenz, die in der vergangenen Woche in Luxemburg tagte. Dabei forderte Van Velzen das kommunale Wahlrecht für alle Ausländer, die als rechtlich anerkannte Einwanderer in den Ländern der EG leben.

Mit dieser Forderung ging er wesentlich weiter, als die EG-Kommission, die seit langem einen Richtlinienentwurf in der Schublade hat, in dem sie zwar fordert, daß EG-Bürger, die in einem anderen Mitgliedsland der Gemeinschaft leben, das kommunale Wahlrecht erhalten. Die Millionen von Türken und Nordafrikanern jedoch hat die Kommission nicht eingeplant. dora