Halle der Erdrückung

■ Vertreter aus dem Osten Deutschlands fühlen sich am Kirchentag „immer noch wie Fremdlinge“

Die „Halle der Umarmung“ im Essener Messegelände ist eine der kleinsten auf dem diesjährigen Kirchentag. Hier werden die deutsch-deutschen Themen verhandelt, und längst kursiert das nette Wort von der „Halle der Erdrückung“. Eng ist es, jedenfalls gelegentlich, manche bleiben draußen.

Im Saal „Essen“ hängen Karikaturen auf Packpapier: „So popelt man richtig“, belehrt ein Wessi den Ossi.

„Wir fühlen uns als Gäste des Kirchentages nach wie vor wie Fremdlinge“, so beschreibt Annemarie Schönherr, ehemalige Vorsitzende des DDR-Kirchentages, zu Beginn des Revier-Kirchentages die eigenen Empfindungen und die vieler Gäste aus der Ex-DDR.

In einer Podiumsdiskussion zwischen KirchentagsmacherInnen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands in der plüschigen „Halle der Stille“ an der Essener Gruga wurden am gestrigen Freitag verschiedene TeilnehmerInnen deutlicher: „Ich könnte aus der Weste hüpfen“, kommentierte eine ältere Frau aus Plauen eine entsprechende Äußerung des Dresdener Kirchentagsorganisators Dieter Kahle, „wenn ich höre, daß die für das nächste Jahr geplanten Regionalkirchentage in Erfurt, Magdeburg, Plauen und anderen Städten nur dann stattfinden können, wenn wir das auch Geld zusammenbekommen. Wir haben das vor der Wende auch ohne geschafft, und gerade das war doch unsere Stärke.“

Der Berliner Schriftsteller Jürgen Rennert erinnert die kirchentags-untypisch zahlreich erschienenen ostdeutschen ZuhörerInnen daran, vor lauter Umarmung die Realtität im Westen nicht aus den Augen zu verlieren: „Auch in der ehemaligen Bundesrepublik gibt es immer mehr Menschen, die Not leiden.“ Mehr Selbstbewußtsein von den BürgerInnen der Ex-DDR forderte Ingrid Schreier, Theologin aus Bitterfeld und Mitglied der Kommission zur Vorbereitung der kommenden Kirchentage: „Dann werden wir auch zahlenmäßig wieder mehr.“ Der erste Kirchentag im Osten allerdings wird wohl frühestens 1997 stattfinden.

Selbstbewußtsein zeigten die Ostler in der Debatte um die Militärseelsorge. Er lehne, betonte der Ostberliner Jugendpfarrer Pahnke, als Christ die Seelsorge an Soldaten nicht ab. Doch dürfe Kirche sich nicht staatlichen Gesetzen unterordnen und Seelsorge bei der Armee nicht zu „religiösem Staatsbürgerkunde-Unterricht“ verkommen. Gegen den geplanten Militärseelsorgevertrag sprach er sich für „die strikte Trennung von Kirche und Staat“ aus. Mit Sarg, einer Leiche und Uniform erschien die ansonsten in dieser Veranstaltung spärlich vertretene Jugend, forderte unter Beifall „Militärseel- Entsorgung jetzt“ und „ein christliches Begräbnis für unseren gefallenen Kameraden“. bm