Vom Umgang mit Minderheiten

■ Tage der Jüdischen Kultur noch bis zum 16. Juni in Erfurt

Erfurt. Gelbe Plakate mit einem Davidstern begegnen einem in Erfurt, jenes Zeichen, ohne das sich vor 50 Jahren in Deutschland Juden nicht auf die Straße wagen durften. Seit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hat man hierzulande Erschreckendes über Judenverfolgung zu lesen und zu hören bekommen, über Geschichte und Kultur der Juden und Israels allerdings kaum. Wohl deshalb nicht, weil Israel politisch auf der Gegenseite stand, als Aggressor, als erklärter Feind der arabischen Völker. Auch wenn eine behutsame Öffnung im Verlaufe der 80er Jahre nicht zu übersehen war, blieb bei den Ex-DDR-BürgerInnen ein beträchtliches Defizit. Weiße Flecke aufzuarbeiten ist nicht die einzige Absicht der seit Mittwoch vergangener Woche in der thüringischen Landeshauptstadt stattfindenen „Tage der Jüdischen Kultur“, größtes Festival dieser Art in den neuen Ländern, vielleicht in Deutschland überhaupt. Da im Osten Ausländer- und Minderheitenhaß in unvermuteter Heftigkeit hervorbrechen, soll ein solches Festival (Veranstalter: Städtische Bühnen und Kulturbund) mit der Auseinandersetzung damit ermutigen. „Da im Prinzip jeder in irgendeiner Weise zu einer Minderheit gehört, ist der Umgang mit Minderheiten auch immer ein Umgang mit uns selbst“, sagt Jürgen Fischer, Chefdramaturg an den Erfurter Theatern und geistiger Vater der Unternehmung. Die „Judenproblematik ist neben ihrer eigenen vielschichtigen Brisanz (unbewältigte deutsche Geschichte, Nahost-Konflikt, Problem Immigration aus der Sowjetunion) hier auch Stellvertreter für jede Minderheitendebatte.

Diskussionen mit prominenten Gesprächspartnern sind aber nur ein Teil des Festivals, in dessen Mittelpunkt natürlich jüdische Kultur aus Vergangenheit und Gegenwart steht. Die gastgebenden Theater bringen sich mit ihren Inszenierungen von Anatevka oder Der Fiedler auf dem Dach, deren Aufführung in Erfurt trotz jahrelanger Bemühungen bisher immer an fadenscheinig anmutenden Einwänden des DDR-Büros für Urheberrechte gescheitert war, und Brecht/Weills Dreigroschenoper (Premiere 15.6.) ein. Gastspiele geben in Erfurt die Batsheva Dance Company (siehe Foto) aus Tel Aviv (Ballettabend Kontraste), das Theater zum Westlichen Stadthirschen, Berlin (Jonteff. Ein Festtag mit meinem Dibbuks, 15.6.), das Jüdische Theater in Deutschland (Der weiße Rabe. Eichmann in Jerusalem, 16.6.), die israelischen Sopranistin Dalia Schaechter (Staatsoper Wien), die Freien Theateranstalten Berlin (Ich bin's nicht, Adolf Hitler ist es gewesen) und andere. Das Szene-Kino Hirschlachufer zeigt ein thematisches Filmprogramm, unter anderem mit Avalon (USA, Regie: Daniel Wachsmann), Korczak (Polen/Frankreich, Regie: Andrzej Wajda) und Aviyas Sommer (Israel, Regie: El Cohen).

Drei Ausstellungen begleiten das Festival und werden noch darüber hinaus zu sehen sein. Eine Verkaufsausstellung mit Werken jüdischer Emigranten aus der Sowjetunion (Malerei, Graphiken, Mosaiken) ist im Opernhaus zu sehen, das Dacherödische Haus zeigt Ansichten von Jerusalem in israelischen Drucken der 70er und 80er Jahre. Am Donnerstag wird im Theater Waidspeicher eine Ausstellung Synagogen in Osteuropa mit Aufnahmen des Fotografen Lutz Balzer aus Rumänien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der ehemaligen DDR eröffnet. Matthias Opatz