Mindestens ein Ort, wo's nicht reinregnet

■ Als spezieller Gast im überbevölkerten taz-Zelt: aus Essen Hansgünther Heyme, künftiger Intendant des Bremer Theaters

Rammelvolle Bude, im weit offenen Eingang noch reihenweise Leute: Hansgünther Heyme, ab nächstem Jahr Leiter des Bremer Theaters, war eigens aus Essen gekommen, um sich im taz-Zelt auf der Breminale seinem baldigen Publikum zu stellen. Es ist ein putzmunterer Abend geworden mit Witz und Streit und Gelächter, mit Zwischenrufen und Widerreden und Querulanten. Selbst auf den Stehplätzen rührte sich drei Stunden lang kaum jemand von der Stelle. Wir drucken die Gespräche in Auszügen.

taz: Sie machen sich grad wieder einen Ruf als Beweger großer Dinge. „Theater der Welt“, Ruhrfestspiele...haben Sie nicht mal Lust auf was Kleines, Handgemachtes?

Hansgünther Heyme: Handgemacht ist doch immer, was ich inszeniere.

Da stemmen sie aber auch je ein ganzes Stadttheater.

Schon, aber da versetz' ich keine Pyramiden. Da sind ja oft ganz intime Prozesse.

Hier in Bremen begeben sich auf außerordentlich sozialdemokratisches Gelände. Da lebt auch ein Begriffspaar, seit langem miteinander verheiratet: Breiten- und Spitzenkultur. Können Sie damit was anfangen?

Nein, schon der Begriff „Kultur“ ist da falsch. Ich sag immer: Kultur ist die Zahnbürste, Kunst ist Aischylos. Und Kunst ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit stadttheatralischer Höchstleistungssportkunst. Obwohl so ein teurer Kolossalbetrieb natürlich was leisten muß für sein Geld.

Was könnte denn im Idealfall ein Theater sein für eine Kommune?

Das Zentrum. Auch der Ort, wo die Leute sich treffen können, wenn so was Schlimmes wie der Golfkrieg geschieht, wo diskutiert wird. So etwas wie der Kunstmittelpunkt.

Sie haben immer ein Klima der

hierhin bitte das

Foto von dem

kurzhaarigen Mann

der direkt aus dem

Foto schaut

Hansgünther Heyme im Taz-Zelt auf der Breminale

Diskussion um Ihr Schauspiel herum geschaffen, mit Lesungen, Seminaren, Debatten.

Das hängt vom Stück ab, was da jeweils erklärt werden muß. Jedenfalls reicht Theaterarbeit allein nicht mehr. Wir stoßen ja immer öfter auf Publikum, was keine Ahnung hat.

Sie haben als einer der ersten im Theater Jugendclubs gemacht.

Als erster. Es ist sehr wichtig, daß ein Theater seine Türen aufmacht. Und sich stören läßt von so einem Durchzug.

Unser derzeitiger Jugendclub sitzt ungestört und vergessen im Brau

hauskeller.

In Köln hatten wir zwölfhundert Mitglieder, 200 Aktive: in Filmgruppen, Dramaturgiegruppen, Beiprogramm-Gruppen. Und oft waren sie an den großen Produktionen direkt beteiligt, auch auf der Bühne.

Ein Jugendclub, wenn er gut läuft, würde ja auch quasi Schauspieler ausbilden nebenher.

Das lief in Essen über die Folkwang-Schule. Hier in Bremen müßte man für die Akademie noch viel tun.

(Aus dem Publikum): Mein Name ist Rolf B. Wessels vom Ernst- Waldau-Theater. Wir haben eine eigene Schauspielschule. Da könnten wir gemeinsam was machen!

Ich hab da große Angst, weil ich Ihr Theater nicht kenne. Das ist natürlich alles eine Qualitätsfrage, grad bei dieser Privatunterrichterei.

Gehn wir mal ins Innere des Theaters, wo das Kunsterlebnis wartet. Sie haben keine Scheu, mit populären Stoffen zu locken.

Gar nicht. Aber es muß schon passen. Nächstes Jahr mach ich ein Musical, das spielt auf'm Ozeandampfer, der auf dem Weg ins faschistisch beherrschte Europa wieder umdreht: „Anything Goes“ von Cole Porter, das werd ich wohl auch nach Bremen mitbringen.

Sie haben mal einen „Tatort“ gedreht. Könnten nicht Theater und Fernsehen öfters mal zusammenarbeiten? Ein Sender steht ja hier schon rum.

Bisher hat seltsamerweise, trotz vieler Vorgespräche, einzig mit Radio Bremen nie was geklappt.

In der guten alten Zeit haben Sie mehrere Theaterskandale verursacht, allerdings ohne je Fahrerflucht zu begehen. Werden Sie jetzt mild?

Ach, wissen Sie, 68 ist rum. Randalieren macht nicht mehr viel Sinn, das Publikum rausdreschen auch nicht. Veränderungen zur Zeit laufen subtil oder gar nicht. Ja, Skandale...wir haben da ein neues Stück, „Die schöne Fremde“ von Klaus Pohl. „Theater heute“ hält es für das Schlechteste aller Stücke, ich für das beste der letzten Jahre. Ein Stück über Fremdenhaß. Da gehen jetzt in Essen schon mal die Leute raus, da wird gleich anfangs ein Pole umgebracht, ein deutscher Schäferhund beherrscht die Szene. Ein äußerst rüdes, äußerst brutales, ein richtiges Material.

(Aus dem Publikum): Aber was meinen Sie mit „subtil“?

Naja, '66 in Wiesbaden haben wir einen „Wilhelm Tell“ gemacht, da sind im Publikum die Leute mit herausgerissenen Stühlen aufeinander losgegangen, und Familien wurden gespalten. Damals ging es gegen falsche Denkmäler. Dann hab ich vor sechs Jahren in Stuttgart den „Tell“ nochmal gemacht, aber ganz anders. Da kannte das Stück kein Mensch mehr, da konnte und mußte es wieder darum gehen: Was wollte Schiller, und warum überhaupt die Reime.

“Kunst ohne Politik ist schlechtes Gewerbe.“ Das ist der Satz, den Sie sozusagen im Wappen tragen. Welcher Regisseur außer Ihnen würde den noch unterschreiben?

Da bin ich schon ziemlich einsam geworden.

(Aus dem Publikum:) Liegt das nicht auch an den Strukturen der Stadttheaterbetriebe?

Die Stadttheater soll man verbessern und nicht wegschmeißen. Das sind immerhin Orte, wo's nicht reinregnet und wo man Platz hat zum Kunstmachen.

Nach der Pause kamen als Gast- Interviewer aufs Podium: Christiane Müller, Bremer Schauspielerin, die früher u.a. mit Heyme gearbeitet hat, und Gerhard Willert, Regisseur u.a. des „Roberto Zucco“ am Bremer Theater.

Gerhard Willert: Im ganzen Land sitzen die Intendanten auf ihren Sesseln und kochen auf'm Ofen ihr Süppchen und schauen, daß Geld reinkommt.

Wenn man das Geldbesorgen nicht mag, wenn man's nicht als Sport begreift, kann man den Job gar nicht mehr machen.

Christiane Müller: Du machst ein politisch brisantes Theater. Und das Theater der menschlichen Konflikte?

...Also, da hab ich richtig Bammel davor, ich hab mit dem ganzen Psychoscheiß Riesenprobleme (Gelächter, Applaus). Da hab ich selber Ärger genug. Und mit meinen Beziehungen. Mal ganz furchtbar, dann wieder schön. Das ist nicht abendfüllend. Deshalb mach ich nie Botho Strauß, nie Thomas Bernhard, nie Koltes.

(Aus dem Publikum): Wissen Sie, was Sie von Ihrem Vorgänger Richter hier erben?

Ich kenne ihn ja nicht. Ich bin grad dabei, mich durch den Etat und all diese Geschichten zu arbeiten. Aber ich glaube, es ist nicht viel zu erben.

(Aus dem Publikum): Neigen Sie zur Selbstüberschätzung?

Ach Gott, ich steh morgens auf und geh abends ins Bett, und zwischendrin arbeite ich. Die Sanierung des Grillo-Theaters und jetzt der Ruhrfestspiele, das waren Großtaten. Aber sonst...

(Aus dem Publikum): Mit welchem Paukenschlag wollen Sie in Bremen anfangen?

Momentan denke ich an eine Inszenierung von mir, und zwar eines Materials von Euripides namens „Herakles“. Das wird unendlich schwierig, zeigt aber genau, wie ich's meine. Interview: Manfred Dworschak