Die Männer, die auf dem Schleudersitz saßen

■ Sechs Polizeipräsidenten regierten seit 1945 die Metropole Berlin/ Klaus Hübner war mit 18 Dienstjahren am längsten dabei

Berlin. Der Stuhl des Polizeipräsidenten in Berlin ist ein Schleudersitz. Doch allen Aufständen und Revolten zum Trotz, die die Stadt in den letzten 46 Jahren erschütterten, richteten sich die Polizeichefs stets gut in ihrem Sessel ein. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Der letzte Polizeipräsident von Gesamtberlin, Oberst Paul Markgraf, der im Mai 1945 von dem sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin in das Amt berufen worden war, mußte schon nach zweieinhalb Jahren seinen Hut nehmen. Markgraf war parteilos, stand aber der SED nahe. Im November 1947 brachte die SPD in der Stadverordnetenversammlung einen Mißtrauensantrag gegen ihn ein, der von der CDU und der LPD unterstützt wurde: In Berlin seien »bisher 5.413 Personen in den Osten verschwunden«. Das Ende der einheitlichen Verwaltung Berlins 1948 und die Berufung von Johannes Stumm zum Polizeipräsidenten von West-Berlin setzten kurz darauf den Schlußpunkt für Markgrafs Tätigkeit.

Stumm leitete die Westberliner Polizei bis 1962. Es war die Zeit großer politischer Unruhen, etwa während des 17. Juni 1953 und des Mauerbaus im August 1961. Sein Nachfolger wurde der Kommandeur der Schutzpolizei, Erich Duensing (SPD). Duensing war verantwortlich für die Polizeieinsätze während des Schah-Besuchs am 2./3. Juni 1967 in Berlin. Von ihm stammt die sogenannte Leberwursttaktik der Polizei: »An den Enden zuschnüren und in der Mitte draufhauen.« Sie wurde am 2. Juni abends vor der Deutschen Oper von Duensing gegen die Demonstranten angeordnet. Bei dem Einsatz wurde der Student Benno Ohnesorg von dem Polizeibeamten Kurras erschossen. Duensing bat im Dezember 1967 um die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.

Nachfolger wurde der Polizeivizepräsident Georg Moch, der bislang einzige Berliner Polizeipräsident mit einem CDU-Parteibuch. Moch mußte wegen der harten, konfrontativen Polizeinsätze bei den Studentenunruhen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke nach einem knappen halben Jahr seinen Hut nehmen. Im Dezember 1968 setzte Innensenator Neubauer (SPD) seinen Parteigenossen Klaus Hübner durch.

Hübner sollte der Polizei, die wegen ihres Vorgehens gegen die Studentenbewegung schwer an Ansehen eingebüßt hatte, ein neues Image verschaffen. Der neue Polizeipräsident, ein Anhänger der heute als »Deeskalation« bezeichneten Einsatzstrategie, gründete seinerzeit in der Polizei die »Gruppe 47«, deren Aufgabe darin bestand, bei Demos mitzulaufen und ins Gespräch zu kommen. In Hübners Amtszeit fielen auch die Entführung des CDU-Abgeordneten Peter Lorenz und die Hausbesetzerbewegung Anfang der 80er Jahre. Hier war auch Hübners Sohn Kai mit dabei.

Hübner dankte im Frühjahr 1987 nach 18 Dienstjahren ab. Als Grund wurde seinerzeit ein Konflikt mit dem Innensenator Kewenig (CDU) über die Dienstzeitregelung genannt. In Wirklichkeit hatte Hübner jedoch keine Lust sich von Kewenig und dessen Staatssekretär Müllenbrock bis hin zur Frage der Funkstreifenbereifung in alles hineinregieren zu lassen.

»Ich bekenne, die Aufgabe reizt«, begründete der neue Polizeipräsident Georg Schertz im Mai 1987 bei seinem Antritt warum er Kewenigs Angebot angenommen habe. Was der parteilose 52jährige Ex-Vizepräsident des Amtsgerichts an Vorstellungen über den neuen Job zum Besten gab, war nichtssagend wie sein beruflicher Werdegang. Daß ein farbloser, der CDU nahestehender Verwaltungsjurist ohne einschlägige Erfahrungen Chef der größten Berliner Behörde mit über 20.000 Beschäftigten werden sollte, stieß bei der Opposition aus SPD und AL auf heftigen Protest. Georg Schertz entpuppte sich als willfähriger Vollstrecker kewenigscher Innenpolitik. Als Beispiele seien der Polizeikessel auf dem Ku'Damm genannt, in dem hunderte von Demonstranten im Juni 1987 bei einer Protestaktion gegen den Reagan-Besuch stundenlang festgehalten wurden. Die Abbriegelung des Bezirks Kreuzberg während des Besuchs — selbst U-Bahnen und Busse durften nicht mehr fahren — heftete sich der Polizeipräsident später sogar als eigene Idee auf die Brust. Erinnert sei auch an die zahlreichen Protestaktionen während der Weltbanktagung im Herbst 1988, die von knüppelharten Polizeieinsätzen gegen Demonstranten und Journalisten begleitet waren. Besonders hervor tat sich dabei die Polizei-Spezialeinheit EbLT, die von Innensenator Kewenig im Frühjahr 1987 ins Leben gerufen worden war.

Geistiger Ziehvater der Spezialtruppe EbLT, die auch als Geheimpolizei in Zivil zur Ausforschung der Alternativ-Szene eingesetzt wurde, war der Landespolizeidirektor Manfred Kittlaus, der als dritter Mann in der Polizeihierarchie höchster Vollzugsbeamter für Kripo und Schutzpolizei ist. Jener Kittlaus, der inzwischen bei der gesamten Polizeiführung wegen seiner Führungsschwäche und Illoyalität in Ungnade gefallen ist. Über die Frage seiner Versetzung kam es zwischen Schertz und Innensenator Heckelmann (CDU- nah) in der vergangenen Woche zum offenen Eklat. Den »Schneid«, sich dem Innensenator öffentlich zu widersetzen, hatte sich der einst so duckmäuserische Schertz schon unter dem rot-grünen Innensenator Pätzold (SPD) zugelegt. Zündstoff zwischen Pätzold und Schertz hatte es genug gegeben. So kreuzte die Polizei 1989 bei den Kreuzberger 1.-Mai-Krawallen erst auf, als es schon lichterloh brannte. Hinterher gaben sich Polizeiführung und Innensenator wechselseitig die Schuld.

Im großen und ganzen kamen Pätzold und Schertz gut miteinander aus. Ein Freund rot-grüner Innenpolitik, geschweige denn ein Pätzold- Kollaborateur, wie die CDU heute glaubt und den Polizeipräsidenten deshalb abzusägen versucht — war Schertz jedoch nie. Plutonia Plarre