Es muß Weisheit eintreten

■ Talk-Show, NDR III, Freitag, 22.00 Uhr

Es herrscht Mißtrauen, tiefes Mißtrauen gegenüber dem gesprochenen Wort. Besonders im Fernsehen. Selbst bei einer Talk-Show.

Anders ist so was wie die letzte NDR-Talshow nicht zu erklären. Kaum sind wir auf Sendung, wird auch schon rübergeschaltet zu den Hansa-Passagen, wo die Zeitschrift 'Für Sie‘ und die New Yorker Modelagentur Elite International den „look of the year“ unter zwölf schulpflichtigen Damen wählen. Und noch bevor man überhaupt begreifen kann, wieso, warum und überhaupt, wird schon zurückgegeben ins Talk- Studio, wo die Balletteusen der noch festangestellten Tanzgruppe des Ostfernsehens ihr rot-weiß bestrumpftes Tanzbein zum Auftakt schwingen, ja das ist zeitlos lang und schön, aber alt, drum flugs wieder der gesamtsendungsleitende Chefkonzeptor. Wolfgang Bremke, der trefflich einen schneidigen Moderator für eine Vicki-Leandros-Show mimen könnte, verfügt, daß wir jetzt wissen wollen, welches Mädel denn nun den Wettbewerb gewonnen hat. Siegerin ist eine Karin oder Anita aus der Gegend um Holzminden, aber weil sich die Mädels alle so ähnlich sehen, gibt es auch eine zweite Gewinnerin, was Grund genug ist, ein richtig buntes Freiluft-Feuerwerk einzublenden, obwohl wir doch jetzt von dem Elite- Manager erfahren sollen, warum der immer nur Models heiratet, aber nun wird es langsam mit der Sendezeit knapp, dabei ist noch nicht ein einziger zusammenhängender Satz gesprochen worden.

Derart redegestützt werden die lustigsten Bild-Musik-Clips fortgespult. Wenn Justus Frantz, den sein Musikveranstaltungs-Sponsor von der Marmeladenfirma gleich mitgebracht hat, beteuert, daß er das flächendeckende Musizieren nur mit einem Hubschrauber schafft, dann sehen wir einen landenden Hubschrauber mit der Textzeile „Justus Frantz auf dem Weg zum NDR-Talk“; während der Seniormusikant Achim Reichel von den alten Rattles erzählt, läuft ein Rattle-Video-Clip; Paloma Picasso antwortet auf die Frontal- Frage: „Haben Sie Ihren Vater geliebt?“, daß sie gerne als Designerin arbeitet, weil es so großartig ist, etwas Neues zu kreieren wie diese Sonnenbrile hier, die sie oben ins Haar gesteckt hat, und wir sehen dazu einen Filmausschnitt mit der nackten Paloma, zwischen vielen nackten jungen Frauen, in deren Blut sie schließlich badet; und wenn dann die Pornodarstellerin und Herausgeberin des deutschen 'Hustler‘-Magazins Sybille Rauch gefragt wird, ob es denn wirklich stimmt, daß sie im Pelzmantel auf nackter Haut extra von München nach Hamburg geflogen ist, um sich noch am Flughafen in einem Daimler diesem Gangster hinzugeben, dann werden uns Bedürftigen Sybilles Fickfertigkeiten durch das Einspielen eines Pornos nachhaltigst verdeutlicht.

Sicherlich ist nicht mit der Brillanz des gesprochenen Wortes zu rechnen, wenn der Ostmedien-Abwickler Mühlfenzl zu Gast ist („Ich habe meine Einrichtungen hinüberzuführen“). Auch läßt sich mit Henning Voscherau („Man muß die Zukunft reden lassen. Es muß Weisheit eintreten.“) oder dem Mecklenburg- Vorpommern-Gomolka („Wir müssen zielstrebig eine sachliche Lösung anstreben.“) schwerlich Gesprächskunst zelebrieren. Die Frage ist allerdings, ob sich der Attraktivität solcher Dödelgäste mit diesem genialen Verbilderungskonzept aufhelfen läßt.

Um so unfaßbarer der Auftritt von Hermann Schreiber und Hellmuth Karasek als Moderatoren. Warum, so sorgt man sich, tingeln diese gestandenen Wortinstitutionen unter der Regie von Bremke, dem Besinnungslosen, über den Bildschirm? Warum kompromittieren sie sich so und kippen diesen ganzen Dreckkübel höchst freiwillig über sich selber aus? Ferngesehen werden muß wohl irrsinnig geil sein. Peter Blie