Ohne Motor und Fahrgestell

■ Das ZDF stellt den ersten deutschen HDTV-Film „Unter dem Berg“ vor

Die Gesichter sind so scharf, daß man jedes einzelne Äderchen sieht. Schminke sieht aus wie Schminke. Und in der Panoramaaufnahme kann man vom Vordergrund bis zum Horizont die Grashalme zählen. Die Rede ist vom hochauflösenden Fernsehen (HDTV). Die doppelte Zeilenanzahl und flimmerfreienderweise mehr Bilder pro Sekunde lassen das übliche Fernsehen wie eine Zumutung erscheinen.

Probeaufnahmen des ersten in dieser Technologie aufgenommenen ZDF-Fernsehfilms Unter dem Berg sind tatsächlich so beeindruckend, als hätte der Zuschauer plötzlich eine neue Brille auf der Nase. Hinzu kommt ein dem Cinemascope fast gleiches Bildformat (1:1/77), das dem Fernsehen kinoähnliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Was darüber hinaus der Ausstrahlung von Spielfilmen ohne die störenden Balken am Bildrand zugute kommt.

Bislang wurde vom ZDF nur Frank Elstner (Wetten, daß...), und die Operngala der Marianne- Strauß-Stiftung hoch aufgelöst. Nach The Loves of Emma Bardac, einer internationalen Coproduktion, wollten die Mainzer nun mit Unterm Berg erstmals auf eigene Faust Chancen und Probleme von HDTV ausloten.

Regisseur und Autor Dieter Funk bemühte sich, mit seiner Geschichte die Vorzüge des neuen Mediums nicht gar zu demonstrativ in Szene zu setzen. Mit dialogarmen Bildern wird die Geschichte dreier Freunde erzählt, die davon träumen, einen Berg zu kaufen. Statisch verharrt die Kamera in monumentalen Panoramaaufnahmen vor diesem Berg.

Der Hyperrealismus des überscharfen Bildes indes erzielt einen ähnlichen Effekt wie beim Betrachten eines Gemäldes von Caspar David Friedrich. Bei der ungewöhnlichen Abstufung der Schärfegrade vom Vordergrund bis zum Horizont entsteht darüber hinaus der Eindruck, als wären die Personen per „Bluebox“ ins Bild „hineingestanzt“ wie der Nachrichtensprecher vor der Wetterkarte.

Eine neue Dimension ergibt sich bei Nah- und Innenaufnahmen. Die überscharfe Detailfülle wirkt surrealistisch. Ein Close-up von Jürgen Prochnow würde bestimmt aussehen wie die Großaufnahme von einem Tortenboden. Ein derart differenziertes Spektrum von Schattierungen und eine solche Brillianz der Farben — das haut einen wirklich erst einmal um. Vorausgesetzt, man begibt sich nicht zu weit von der Röhre weg. Ab drei Meter Entfernung von der Superglotze ist es dem Auge egal, wie hoch aufgelöst das Bild ist. Der Effekt der Differenzierung verliert sich zusehends. Ein via Technologie formuliertes Argument, den Zuschauer dort zu fixieren, wo die Öffentlich- rechtlichen ihn ohnehin gerne sehen: in der „ersten Reihe“.

Unter dem Berg ist natürlich weniger Film als ein Werbeprospekt für die bildnerischen Gestaltungsmöglichkeiten der neuen Technologie. Denn Werbung hat dieses auf geliehenem japanischen Equipment gedrehte Pionierprojekt bitter nötig. Auf absehbare Zeit kann HDTV nämlich weder ausgestrahlt noch empfangen werden. Zum noch ungewissen Zeitpunkt der 3-Sat- Ausstrahlung werden alle Zuschauer Unter dem Berg demnach so sehen wie Ben Hur, mit Balken nämlich.

Sowohl bezüglich der Sendenorm als auch der Industrienorm der Empfangsgeräte tobt zur Zeit zwischen Europa und Japan ein Kampf um die technologische Vormachtstellung. Und selbst wenn der entschieden ist und die Technik in Serie geht, bleibt fragwürdig, ob der Verbraucher sich einen Apparat ins Zimmer stellt, der voluminös ist wie eine Tiefkühltruhe.

Es liegt die Vermutung nahe, die Faszination HDTV als Argument zum umstrittenen Ausbau des Glasfasernetzes ISDN zu verwenden, durch dessen Kapazität die mehrere herkömmliche Fernsehkanäle verschlingende Bandbreite der hoch aufgelösten Bilder erst übertragen werden können. Ohne dieses superteure Netz, das Telefon, Radio und TV in einer Leitung vereinigt, bleibt HDTV wie eine wunderschöne Karosserie ohne Motor und Fahrgestell. Manfred Riepe