: Geisterstunde der Wahrheit
■ Giro d'Italia: Bugno macht schlapp, Chiappucci greift an und Chioccioli blickt in eine rosige Zukunft
Berlin (taz) — Seine Ankündigung, beim Zeitfahren am letzen Mittwoch in Langhirano zuschlagen zu wollen, hatte Gianni Bugno, Vorjahressieger des Giro d'Italia, mit einem Sieg, der ihn bis auf eine Sekunde an Franco Chioccioli, den Träger des Rosa Trikots, heranbrachte, eindrucksvoll unterstrichen. Sogleich wurde er übermütig und kündigte forsch die „Stunde der Wahrheit“ für die beiden schweren Alpenetappen am Freitag und am Samstag an. „Hier gewinne ich den Giro oder ich verliere ihn“, tönte er, hätte aber wohl kaum gedacht, daß es ihn gleich so heftig erwischen würde.
Auf der 12. Etappe von Savona ins 2.020 Meter hoch gelegene Monviso wurde er sechs Kilometer vor dem Ziel von einer Spitzengruppe, in der sich seine größten Konkurrenten Lejarreta, Chiappucci und Chioccioli befanden, einfach stehengelassen, verlor fast zwei Minuten und mußte obendrein die Demütigung hinnehmen, daß, als er ins Ziel hechelte, Franco Chioccioli direkt daneben bereits im frischgewaschenen Rosa Trikot auf dem Siegespodest posierte. Etappensieger wurde der beste Jungprofi des 74. Giro, der 24jährige Massimiliano Lelli.
Nicht besser erging es Bugno am folgenden Tag auf dem Weg von Savigliona nach Sestrière. „Ich werde angreifen, sobald sich mir die Möglichkeit bietet, ob beim Aufstieg oder während der Abfahrt, macht keinen Unterschied“, hatte Claudio Chiappucci, dessen feindselige Rivalität mit Bugno während der ersten beiden Giro- Wochen Thema Nummer eins in der italienischen Öffentlichkeit war, gesagt. Dies sei „ein Giro, bei dem man improvisieren muß“. Und der kleine Chiappucci improvisierte, was das Zeug hielt. Immer wieder versuchte er, auf der 13prozentigen, zweimal zu fahrenden Steigung zum 2.035 Meter hoch gelegenen Ziel, dem weit auseinander gerissenen Feld zu enterilen, und hatte schließlich Erfolg. Zwar hefteten sich Lejarreta, Chioccioli und Lelli an sein Hinterrad, doch Bugno kam wieder nicht mit. Noch einmal mußte der strahlende Triumphator von 1990 41 Sekunden abgeben. Die Stunde der Wahrheit war ihm zur Geisterstunde geraten.
Erstaunlich gut hielt sich der 31jährige Spitzenreiter Chioccioli, der gern als lachender Dritter aus dem Zwist Bugno-Chiappucci hervorgehen würde. „Da halte ich mich raus“, sagte der Mann aus Pian di Sco' in der Toskana, den alle wegen seiner Ähnlichkeit mit dem großen Fausto Coppi „Coppino“ nennen. „Im Rennen sind wir alle Feinde, aber außerhalb fallen die Barrieren.“ Lange Jahre hatte Chioccioli treue Dienste für seinen früheren Chef Giuseppe Saronni geleistet, nun kann er als Mannschaftskapitän zum erstenmal befreit in die Pedale treten. „Ich bemühe mich, immer in der ersten Reihe zu fahren, um dieses gesegnete Hemd so lange wie möglich zu behalten“, sagt er bescheiden. Doch nach seinem starken Auftritt von Sestrière trauen ihm nicht wenige zu, daß er das Rosa Trikot sogar bis Mailand behaupten kann. Vorher warten jedoch noch drei schwere Bergetappen auf die Fahrer. Die Vorentscheidung fällt vermutlich am Mittwoch auf dem Pordoi, dem sogenannten „Coppi-Gipfel“. Es wäre doch gelacht, wenn ausgerechnet „Coppino“ dort nicht brillieren könnte. Matti
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