Das Tüpfelchen des i

Zwei Platten von Berliner Bands  ■ Von Harald Fricke und Thomas Winkler

Eine Platte, auf der alles bis zum i-Tüpfelchen ausgeklügelt erscheint, macht stutzig. Wo der Sound dreckig ist, begradigen ihn die Poems mit geschultem Gesang, und wenn dann der Gesang selbst rauh wird, verfällt die Band flächendeckend in dezente Hintergrundbegleitung. Das macht die Platte zwar zur ausgewogenen Rundumliebäugelei, die den Gestreßten aus Bank und Büro am Abend etwas Adrenalin aus dem HiFi-Turm verspricht, aber es ist zu wenig eigenwillig.

Auch der opernhafte Gesang des Songschreibers Nikolai Tomas kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Spannung zwischen den überdeutlich gesetzten Pfeilern aus Folk und Rock nicht selten verliert. Die Band bleibt einfach dran hängen. Am Ende aber überzeugt am ehesten noch dieses behäbige Gerüst aus den siebziger Jahren, besonders in Stücken wie Two Letters oder Round Round Round (The Gentleman's Fear) , wo die Poems Bögen zwischen den Pixies, Bob Dylan's Hurricane und den Free-Erben Bad Company zu schlagen scheinen. Auch die Country & Western-Anleihen haben ihren Reiz, wenn unverblümt Truckerphantasien ausgelebt werden, als wäre die Welt ein einziger Hamburger-Imbiß am Wegesrand der 20-Tonner. Wie im richtigen Leben, so auch im Song Carry On.

Der Rest der Platte kreist um Leid und Freud, mit sauberen Breaks, schunkelig hoppelnden Melodien und der Stimme, die zwischen Oper, Prärie und Variété schwankt. Daß sie nicht umkippt, ist der Produktion zu verdanken. Aber alles richtig gemacht zu haben, bedeutet mitunter zu wenig. Dann doch lieber live.

In den letzten beiden Jahren wurden Poems For Laila als die designierten Nachfolger einer anderen Berliner Band auf dem deutschen Pop-Thron gehandelt. Im Gegensatz zu den Poems, deren Problem es immer war, ihre Liebe zum überspannten Kitsch adäquat in Rillen zu verpacken und so über den live erspielten Berliner Größenstatus hinauszukommen, konnten die Rainbirds live nie die Ansprüche einlösen, die eine einzige Single in der bundesrepublikanischen Popwelt geweckt hatte. Blueprint war ein genialer Popsong, wenn man voraussetzt, daß in diesem Genre Genialität in der Beschränkung liegt: eingängige Melodie plus leicht repetierbarer Text, den man tunlichst nicht ins Deutsche übertragen sollte. Schon die darauf folgende erste LP der Rainbirds konnte die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen, die zweite noch weniger.

Als die Sängerin Katharina Franck auch noch ihre gesamte Band feuerte und sich mit der in Berlin allseits verwendeten Studiomusikern Ulrike Haage zusammentat, war das Label „Rainbirds“ nicht mehr als ein Etikettenschwindel, der dazu benutzt wird, die elegischen Vorlieben der Frau Franck unter der nicht zutreffenden Bezeichnung „Pop“ an die Massen zu verkaufen. Und seit der ersten Single hoffen diese Massen darauf, daß Pop der intelligenteren Kategorie auch in Deutschland mit Verkäuflichkeit gepaart werden kann. (Daß Pop aus Deutschland sowieso international verkaufbar ist, haben andere wie Dieter Bohlen oder Frank Farian ja schon zur Genüge bewiesen.)

Two Faces, die neue LP der Rainbirds, ist genau dies nicht, obwohl alle Anstrengungen unternommen wurden, sie hitparadentauglich zu trimmen. Aufgenommen in Los Angeles mit Hilfe von Studiomusikern aus dem Prince-Umfeld, hängt sie zwischen allen Stühlen. Der in anderen Rezensionen bemühte Weill- Vergleich trifft zwar nur bedingt zu, zeigt aber das Problem. Auf der einen Seite ist vor allem die Struktur der Songs eher kompliziert und läßt den Lyrics viel Raum, auf der anderen Seite sind die englischen Texte von Katharina Franck — gelinde gesagt — so aussagelos, daß eine zu tiefe Kluft zwischen Form und Inhalt besteht. („When the music is low they all wanna go/ All scream when the music is fast“)

Zudem können sie die sich daraus ergebende Spannung nicht voll entwickeln, so wie es zum Beispiel die Pet Shop Boys im Moment vorführen, die zynisch-aussagekräftige Texte mit gesichtslosem Pop verbinden. Schuld daran sind die Versuche, den Songcharakter zwar zu wahren, aber den Sound zu modernisieren. Und das heißt im Moment natürlich nichts anderes, als tanzbar zu werden. Die Rainbirds haben dabei aber leider nicht begriffen, daß Tanz mehr mit Hysterie und Ekstase zu tun hat als mit elegischen, dahintröpfelnden Selbstreflexionen. Hier groovt nichts, hier staucht der Tanzlehrer die motorisch völlig Unbegabten zusammen. Und hier schließt sich auch der Kreis zu Poems For Laila: Wo diese zu schunkelig sind für ihren eigenen Anspruch, sind die Rainbirds zu schrullig.

Poems For Laila: La Fillette Triste, Vielklang/Polydor

Rainbirds: Two Faces, Phonogram