ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Autoren-Pop & Folklore - Elvis Costello & Linton Kwesi Johnson

Außer Jim Morrison ist kein Popmusiker in letzter Zeit so gefeiert worden wie Bob Dylan. Doch die sentimentalen Würdigungsartikel, die anläßlich seines 50. Geburtstags allerorts zu lesen waren, sind nicht nur der unfreiwillige Beweis dafür, daß der näselnde Entertainer mittlerweile zur allseits kompatiblen Größe geworden ist; sie haben auch den Blick dafür getrübt, wo aktuellere Figuren sich an Widersprüchen abarbeiten, mit denen schon der Meister selbst zu kämpfen hatte — dies aber unter weit ungünstigeren Bedingungen tun müssen.

Die letzten Platten von Elvis Costello zum Beispiel sind ein fast schon verzweifelt zu nennender Versuch, den von Dylan idealtypisch und heroisch verkörperten Singer/Songwriter-Typus als zeitgemäße Figur zu behaupten. „Now that you set everybody free, what are you going to do about me?“ singt er in Invasion Hitparade, einem zentralen Stück auf seinem jüngsten Album Mighty like a Rose. Weiter heißt es dort: „Don't wanna be treated like some poor grateful clown, I'd rather go back in the sweet underground.“

Costello hält an einer Form des Ausdrucks fest, die sich aus der Verstrickung in die Permissivität und Austauschbarkeit der Kulturindustrie befreien will, aus der sie hervorgegangen ist; er möchte Pop den nonkonformistischen Glanz zurückgeben, der in den sechziger Jahren seine kommerzielle Natur kurzfristig vergessen machte. Doch den Untergrund als abseitigen Ort, als künstliches Paradies und Statthalter neuer Individualitätsformen gibt es weniger denn je. Längst befindet sich der Autoren-Pop auf einem ähnlich absteigenden Ast wie das Autoren-Kino. Wenn Dylan Godard war, dann ist Costello einer jener Kleinregisseure, die auch heute noch das Unmögliche wollen und einen im Grunde aussichtslosen Kampf gegen das kommerzielle und ästhetische Diktat der Unterhaltungskonzerne führen.

Dabei gab es auch für ihn eine Nouvelle Vague. My aim is true und — frech, aber auf der Höhe der Zeit — This Year's Model hießen die beiden Platten, mit denen der ehemalige Programmierer in der produktiven Verwirrung der Punk- und New-Wave-Ära sein Projekt startete. Seither hat er die Pop-Geschichte im Zeitraffer durchlaufen und dabei, ähnlich wie Dylan, alle möglichen Gebiete gestreift. Es gab eine Country-LP (Almost Blue), eine Soul- Hommage (Get Happy) und ein Wall-of-Sound- Opus (Armed Forces), Ausflüge in die Filmmusik (Straight to Hell, ein Italo-Western-Verschnitt mit Joe Strummer und den Pogues), Joe- Jackson-ähnliche Versuche, die Hitparaden zu erobern (Goodbye Cruel World), und entgegengesetzte, zur Schnoddrigkeit der frühen Jahre zurückzufinden (Napoleon Dynamite). Spätestens mit den LPs Trust, Imperial Bedroom und dem ironischen King of America kam die Anerkennung als exzentrischer Song-Dichter und Querkopf. Im Rückblick zeigt sich allerdings, daß das bereits Rückzugsmanöver waren. Costello flüchtet sich in immer elaboriertere, chansonähnliche Kunstfolkvarianten, die an ihrer eigenen Meisterschaft und verbrieften Überzeitlichkeit zugrunde zu gehen drohten.

Mighty like a Rose — der Titel sagt alles — weist keinen Ausweg aus diese Sackgasse. Doch Costello versucht noch einmal, dem Ikonentum zu entkommen, indem er seinen gesammelten Altersstarrsinn aufbietet. Hin- und hergerissen zwischen innerer Emigraton und offenem Zorn, zwischen dem Willen, sich endlich von seinen Vorbildern zu lösen, und dem Anspruch, das bessere Erbe an ihnen anzutreten, überblendet er helle Beach-Boys-Chöre mit tiefschwarzen Texten (The other Side of Summer), belädt unschuldige Folksongs mit zentnerschweren, seargentpepperesken Arrangements und läßt Melodie- Pop mit HipHop-ähnlichem Sprechgesang kollidieren (Hurry down Doomsday). John Lennon, der andere Superheld des Autoren-Pop, wird en passant abgekanzelt („a millionaire who said ,imagine no possessions‘“), nur um kurz Hitparade folgen zu lassen. Auch Anspielungen auf Dylan bleiben nicht aus; Costello schlägt sich auf die Seite derjenigen, „who just refuse to be saved“.

Rettung gibt es nicht in der Pop-Welt, und Ruhm ist ein rächender Biograph — ganz gleich, wen er trifft. Das Ende vom Lied soll bei Costello möglichst nicht heißen: „Will you still need me, will you still feed me, when I'm 64.“

Linton Kwesi Johnsons parallel verlaufender Versuch, das Prinzip „Dichter“ auf einen schwarzen Reggae-Hintergrund anzuwenden, ist immerhin so weit gediehen, daß er es sich leisten kann, acht Jahre kein Platte zu machen. Das spricht nur für eine weitgehende Unabhängigkeit von den Moden der Kulturindustrie, es zeigt auch, daß Glaubwürdigkeit am ehesten noch dort zu finden ist, wo „Underground“ kein nostalgischer oder zeitgeistiger Mythos ist, sondern (meist unschöne) Realität. Linton Kwesi Johnson singt zunächst einmal für die schwarze Bevölkerung in Brixton und anderen Suburbs.

Die Sprache, die er dabei benutzt, ist „Patois“, das Englisch der britischen Jamaikaner. Langsam, mit zerdehnten Silben und gerade deswegen rhythmisch und insistierend rollen die Wörter von der Zunge, formen sich zu Bildern oder fiktiven Zwiegesprächen, die einen Zusammenhang von zwei Seiten her beleuchten; wie zum Beispiel in Sense outta Nansense von der neuen LP Tings an' Times: Der Dumme und der Unschuldige mögen manches gemeinsam haben; beide sind sie Ausgenutzte und Betrogene. Doch der Unschuldige wird das irgendwann herausfinden, während der Dumme einfach nur dumm bleibt. Eine wahrhaft zeitgemäße Botschaft.

Dylan wiederum nicht unähnlich, speist sich Johnsons Poesie aus einem biblisch-archaischen Hintergrund, der einfache Bilder und parabelhafte Erzählweisen bevorzugt, ohne dabei auf schwarze Roots zu pochen oder in das Klischee vom Ganja-rauchenden Rastaman zu verfallen. Im Gegenteil: LKJs Spielart des Reggae hat sich von ihrer religiösen Herkunft emanzipiert, sie ist nicht überzeitlich, sondern in einem strikten Sinn politisch. Wenn von „People“ die Rede ist, so nicht in der Bedeutung von „Wir sind das Volk“, sondern als Beschreibung und Artikulation der Lage einer konkreten Bevölkerungsschicht, der britischen Schwarzen. Der „Mistah Man“, von dem LKJ singt, steht für den alltäglichen Rassismus, und wenn von Di anfinish revalueshan die Rede ist, dann ist das tatsächlich auch so gemeint. Mi revalueshanary friend ist sogar die meines Wissens erste und einzige popmusikalische Reflexion auf den Zerfall der politischen Blöcke — unter besonderer Berücksichtigung des schwarzen Kontinents, versteht sich: „Kaydar — e ad to go, Zhivkov — e ad to go, Husack — e ad to go, Honnicka — e ad to go, Cauchescu — e ad to go, jus like apartheid will av to go.“

Ungebrochen ist der Blick auf die politische Entwicklung freilich nicht. Tings an' Times ist keine Revolutionsfolklore — wohl aber Folklore. Im Gegensatz zum eher optimistischen, jazzorientierten Vorgänger Making History leben Linton Kwesi Johnsons neue Songs vom Widerspruch zwischen nüchterner Bestandsaufnahme und fast schon fröhlichen Akkordeon- und Geigen-Arrangements. Ich weiß nicht, was der Dichter sich dabei gedacht hat, aber ich verstehe es als Reverenz an die sechziger Jahre, in denen der Popsong als Folk-Protest erwachsen zu werden versuchte.

—Elvis Costello: „Mighty like a Rose“ (WEA)

—Linton Kwesi Johnson: „Tings an' Times“ (LKJ Records/Intercord Import)

AUTOREN-POP&FOLKLORE—ELVISCOSTELLO&LINTONKWESIJOHNSON