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Ratlosigkeit unter den Friedensforschern

Nach dem Golfkrieg: Auf dem Kongreß der „Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ herrschte Resignation/ Fazit: Es fehlt der politische Wille zu alternativen Verteidigungsstrategien  ■ Von Sebastian Klusak

Heidelberg (taz) —„Wege zur Entmilitarisierung“ scheinen schwer zu sein. Eine Antwort darauf, was denn nun, zweieinhalb Monate nach dem Golfkrieg, einen Tag nach dem Scheitern der Start-Gespräche, „zu tun“ sei, fand keiner der in Heidelberg versammelten Koryphäen auf dem Expertenpodium aus der bundesdeutschen Friedens- und Konfliktforschung. „Dieser Krieg hat uns alle überrollt“, befand sogar Alfred Mechtersheimer auf dem Kongreß Wege zur Entmilitarisierung, der am Samstag von der deutschen Sektion der „Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ veranstaltet wurde. So schafften die Experten, anstatt zur Kardinalfrage „Welche alternative Verteidigungsstrategie ohne Waffen gibt es“ Stellung zu nehmen, erst einmal Einigkeit unter sich.

Etwa darin, daß der „Entschlossenheit der Politiker und der Medien, diesen Krieg als humanen Krieg darzustellen“, wie Ex-Flottillenadmiral Elmar Schmähling ins Publikum donnerte, „entschieden entgegenzutreten“ sei. Angesichts der Tatsache, daß ein Drittel der Kriegstoten Zivlisten gewesen seien, daß hiervon 80 bis 90 Prozent erst nach Kriegsende an den Folgen des Irak-Embargos, den Langzeitwirkungen der Waffen oder der Flucht gestorben seien, könne keine Rede davon sein, der Golfkrieg habe die Zivilbevölkerung verschont. Das Wissen um 60.000 bis 80.000 Streubomben, Napalmbombenteppiche, sowie die Tatsache, daß nur 10 Prozent der eingesetzten Waffen „intelligent“ gewesen seien, sollten den amerikanischen Fernsehmythos von den gezielten „chirurgischen Schlägen“, als „Lug und Betrug“ entlarven, meinte der Admiral außer Diensten. Keiner widersprach.

Einigkeit herrschte auch darin, daß man sich „zu lange auf die Abschaffung der Atomwaffen konzentriert“ habe, dieweil ein Land ein anderes mit weitreichenden konventionellen Waffen bedrohe — wie im Falle der Bedrohung Israels durch den Irak. Da solche Waffen zwar inzwischen von vielen Staaten der Welt hergestellt werden könnten, das Know-how dafür aber noch immer aus den Industrieländern käme, müßten die Waffenexporte drastisch eingeschränkt werden. „Wir liefern nur die Blaupausen — die Fertigung geschieht in der Dritten Welt“, sagte etwa Joachim Badelt von der Berghofstiftung für Konfliktforschung in Berlin. In der Bundesrepublik mit ihrer „noch relativ restriktiven“ Gesetzgebung seien nur etwa zwei Prozent der exportierten Lizenzen und Waffen illegal — 98 Prozent hingegen würden „ganz legal rausgeschafft“.

Schließlich war man sich auch darüber einig, daß es keine „effiziente Konfliktlösungsstrategie“ sei, nationale Armeen einfach unter UN- Oberbehl zu stellen, so der Starnberger Friedensforscher Alfred Mechtersheimer. Dies sei Ausdruck eines „veralteten Denkens“. „Selbst bei uns hat sich ja durchgesetzt, daß es bei Konflikten keine Lösung ist, einfach die Polizei zu rufen.“

Doch welche Schlüsse nun aus all dem zu ziehen seien, darüber herrscht auf dem IPPNW-Kongreß wie in der Friedens- und Konfliktforschung Ratlosigkeit. Gerade angesichts des Golfkriegs mochte man sich auf den alten Lorbeeren ausruhen, nämlich schon Anfang der achtziger Jahre den wirtschaftlich bedingten Zerfall des Sowjetimperiums und damit die Sinnlosigkeit der amerikanischen Mittelstreckenwaffen ebenso vorausgesagt zu haben wie die Ablösung des Ost-West- durch den Nord-Süd-Konflikt. Denn, es gilt „konkrete Alternativen zu finden, zu dem, was aus Brüssel kommen wird“, wie Alfred Mechtersheimer es mit Blick auf die von den Nato-Verteidigungsministern beschlossenen Strategieplanungen formulierte.

Professor Theodor Ebert, seit Jahren Verfechter einer Strategie der „sozialen Verteidigung“, schlug diese wieder vor. Gewaltfreier Widerstand müsse in Schulen, Arbeitsstätten und Behörden eingeübt werden, meinte der Politologe. Kein Land sei gegen den Willen einer Bevölkerung, die „in ihrer Gesamtheit“ den zivilen Ungehorsam praktiziere, regierbar. Daher müsse die Ankündigung, im Falle einer Invasion mit „sozialer Verteidigung“ zu reagieren, auf jeden potentiellen Angreifer abschreckend wirken.

Professor Ekkehart Krippendorff (Berlin), Elmar Schmähling und Alfred Mechtersheimer setzten hingegen eher auf eine „Demokratisierung“ der UNO. Der ständige Sitz im Sicherheitsrat, der bislang Frankreich, England, China und vor allem der UdSSR und den USA zugestanden wurde, müsse abgeschafft werden. Am Rande wurde darauf hingewiesen, daß just diese fünf ständigen Sichereitsratsmitglieder auch die fünf größten Waffenexportländer der Welt sind. Ferner solle ein „Sanktionskatalog“ ausgearbeitet werden, der auf jeden Staat angewendet werden solle, der sich nicht an UN-Beschlüsse zur Friedenssicherung halte. Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag müsse endlich „aufgewertet“ werden.

All dies jedoch muß auch politisch „umgesetzt“ werden. Der Betriebsratsvorsitzende beim MBB-Werk Augsburg, Manfred Zitzelsberger, zählte Beispiele auf, in denen die Belegschaften von Rüstungsfirmen konkrete Vorschläge zur „Konversion“, also der Umstellung der Produktion auf die Fertigung ziviler Güter, gemacht hätten. Daß in Augsburg statt des Tornado nun nicht nur ein Airbus-Modell, sondern gleich eine ganze „Familie“ dieses zivilen Flugzeugtyps hergestellt wird, daß sich viele Betriebe inzwischen auf Umweltschutzanlagen oder Mikroelektronik umgestellt hätten, zeige durchaus, daß „Rüstungskonversion machbar“ sei.

Solle aber die Rüstungsindustrie ganz aus Deutschland verschwinden und dennoch dabei keine Arbeitsplätze verloren gehen, dann seien dafür „Investitionen“ nötig, die so hoch wären, daß sie die Betriebe nicht mehr aus eigener Tasche finanzieren könnten. Hier sei, so folgerte Zitzelsberger, also eine großangelegte „finanzielle Unterstützung“ der Bundesregierung vonnöten. Dazu aber, so der IG-Metall-Funktionär Zitzelsberger, fehle „der politische Wille“.

Und das gilt, darin nun waren sich alle Experten in Heidelberg wirklich einig, nicht nur für die Rüstungskonversion, sondern für Alternativen zu den militärischen Verteidigungsstrategien überhaupt.

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